Geschichte wird gemacht (CRE 196)

CRE, das zu den deutschsprachigen Podcasts mit der größten Reichweite gehört, hat sich dem Thema Feminismus (CRE 196) angenommen. Zu Gast in der über drei Stunden langen Sendung war Katrin Rönicke, die im Gespräch mit Tim Pritlove über ihren feministischen Werdegang, die Geschichte der Frauenbewegung und verschiedene geschlechterpolitische Fragen Auskunft gab. Wie zu erwarten war, gab es nicht nur die üblichen feminismuskritischen Wortmeldungen, sondern auch kritische Anmerkungen aus der (pro-)feministischen Bubble. Sofakissen hat sich in seiner Raummaschine schon darüber ausgelassen, dass er den Feminismus-CRE als sehr männerkompatibel und flauschig wahrgenommen hat, was er daran festmacht, dass zum Beispiel das Thema Gewalt ausgeklammert wird.

Das ist mir beim Hören auch aufgefallen. Es gab aber noch eine andere große Leerstelle, auf die hinzuweisen ich wichtig finde. Die Debatten, die unter Stichworten wie “Differenzen zwischen Frauen” oder “Intersektionalität” bekannt sind, werden in der Sendung nämlich völlig ausblendet. Deutlich wird das zum Beispiel, wenn Katrin Rönicke ihr Verständnis der “dritten Welle” beschreibt. Was im Podcast rüber kommt: Eine jüngere Generation stellt fest, dass die alten Probleme noch immer nicht (alle) gelöst sind: Sexismus, Vereinbarkeit, Karriere. Also wird Feminismus neu aufgerollt, ein paar Sachen müssen aber über Bord geworfen werden (z.B. die Ablehnung von Pornographie und BDSM, die Männerfeindlichkeit). Die Feministinnen der dritten Welle sind “kooperativer” als die der Zweiten. Das ist durchaus eine verbreitete Deutung von zeitgenössischem Feminismus, unterschlägt aber mindestens zwei Punkte.

Zum einen: Intersektionalität kommt nicht vor. Die Diskussion um Mehrfachunterdrückung, sich überschneidende Formen gesellschaftlicher Ungleichheit und die sich daraus ergebenden unterschiedlichen sozialen Positionierungen fehlt. Gut, Intersektionalität ist ein ziemlich akademisches Wort, eine Analysemethode. Aber ist kein Thema, mit dem sich nur im Elfenbeinturm beschäftigt wird. Feministische Aktivist_innen beschäftigen sich heute mit Themen wie Mehrfachpositionierung. Im Policybereich, z.B. bei den Weltfrauenkonferenzen der Vereinten Nationen geht es schon lange um das Verhältnis von Race, Gender und Class. Viele Konflikte wurden geführt und es waren vor allem marginalisierte Frauen*, die darum gekämpft haben, dass eine weiße, nicht von Behinderung betroffene, bürgerliche Perspektive nicht alles sein kann und dass auch diese Perspektive etwas mit rassistischen Strukturen, Kapitalismus, Gesundheitsdiskursen usw. zu tun hat. Das ist auch alles nicht neu: In der ersten Frauenbewegung gab es neben den bürgerlichen auch sozialistische Feministinnen, die Feminismus und Klassenkampf zusammengedacht haben. Für die Diskussion um Intersektionalität sind Texte von amerikanischen Women of Color (das Combahee River Collective Statement (1977) zum Beispiel) besonders einschlägig. Es ist auch nicht so, als sei das eine US-Debatte, die mit den hiesigen Verhältnissen nichts zu tun hat. Schaut euch mal die Interventionen von Schwarzen Frauen und Migrantinnen an, zum Beispiel den Text Wir, die Seiltänzerinnen (1994) von FeMigra. Oder die Auseinandersetzungen um doppelte Diskriminierung von Frauen mit Behinderung (Texte von Swantje Köbsell: 1, 2). Das sind nur die bekanntesten Beispiele, von denen ich weiß, dass sie immer wieder aufgeführt werden, um wenigstens zu sagen: Hier schaut, das gibt es alles! Nehmt es wahr!

Ein zweiter Punkt ist die Kritik an der binären Zweigeschlechtlichkeit (d.h.: es gibt nur Männer und Frauen und die sind im Normalfall in ihrem Begehren aufeinander bezogen) und der Ausgrenzung von Menschen, die in dieses Schema nicht passen können oder wollen, auch aus feministischen Räumen. Über das Verhältnis von Feminismus und Queeren Politiken (Woltersdorf: Queer Theory und Queer Politics, 2003) wird im CRE nicht gesprochen. Tim Pritlove versucht das, wenn ich es richtig rausgehört habe, an einer Stelle einzubringen, Katrin Rönicke lenkt das Thema auf ihre Erfahrungen mit (heterosexueller) Mutterschaft. Nicht, dass das kein wichtiges Thema wäre. Der Gesprächsverlauf an der Stelle zeigt aber gut, wie aus einer bestimmten Position heraus Themen gesetzt und andere unsichtbar gemacht werden.

Die CRE-Folge ist also ein hervorragendes Beispiel dafür für eine Geschichtsschreibung, die dominante gesellschaftliche Positionen reproduziert und andere unsichtbar macht. Ich halte es nicht für falsch, sich zum Beispiel über die Rollenverteilung von heterosexuellen Eltern zu unterhalten, um bestimmte Punkte zu vermitteln. Mit dem Thema können vermutlich viele CRE-Hörer_innen etwas anfangen und es gibt Anstoß, über eigene Erfahrungen nachzudenken (auf eine angenehmere Art, als wenn ich mich fragen muss, wo ich eigentlich in letzter Zeit männliches Dominanzverhalten an den Tag gelegt habe). Ich halte es aber für falsch, intersektionale und heteronormativitätskritische Perspektiven in einem dreistündigen Gespräch, das offensichtlich den Anspruch hat, über die Geschichte des Feminismus etwas zu vermitteln, komplett auszublenden und über 30 Jahre feministische Auseinandersetzung zu übergehen.

Der “pragmatische Feminismus” von Katrin kommt gut an, das merke ich an den Reaktionen auf Twitter. Und so wünschenswert ich es finde, dass viele Leute ein Verständnis für Feminismus entwickeln, so frage ich mich doch: Geht das nur um den Preis, sich gegenüber denjenigen abzugrenzen, die mit dem Malestream nicht kompatibel sein wollen? Diese Form von “pragmatische Feminismus” hat den Effekt, gerade bei den “irgendwann ist mal gut”-Apologet_innen gut anzukommen und erweist so den Vertreter_innen der aktuellen Diskurse einen ErklärBärendienst. Die intersektionalen Ansätze gelten dann en passant als “zu kompliziert, zu radikal”. Sie sind aber State of the Art (seit 30 Jahren!), nehmt sie ernst. They are the stories … that need to be told. sab_culture hat das viel besser formuliert: “they are told, but more often ignored, not acknowledged, over heard, over voiced …”

Die Wortspielcredits für den Erklärbärendienst gehen an Philip Steffan.