Auch in dieser Küche wird Reproduktionsarbeit geleistet
Ich wurde in letzter Zeit ein paar Mal mit der Frage konfrontiert, was ich eigentlich mit Reproduktionsarbeit meine. Ein Gespräch bei grünem Curry hat mir deutlich gemacht, wo das Verständnisproblem anfängt. Erklärbärmodus an.
Mit dem Begriff Reproduktion wird das “Vervielfältigen” verbunden. As in: “An meiner Wand hängt eine Reproduktion der Mona Lisa.” In Bezug auf Arbeit und Leben heißt das: Kinder machen. Neue Generationen produzieren. Es gibt jedoch eine zweite Begriffsbedeutung, die für das Verständnis von Reproduktionsarbeit entscheidend ist:
Als Reproduktion wird ein Vorgang bezeichnet, bei dem etwas vervielfältigt wird, sowie häufig auch die im Ergebnis dessen entstandene Kopie. Insbesondere im Zusammenhang mit sozialen Systemen wird unter Reproduktion neben der Neuerstellung auch die Aufrechterhaltung eines Zustandes verstanden. (Wikipedia: Reproduktion)
Wenn ich Reproduktionsarbeit sage meine ich also das Aufrechterhalten eines Zustandes – und zwar den geistig-körperlichen Zustand des arbeitenden Menschen.
Marx nimmt das mit der Reproduktion her, um das mit dem Arbeitslohn und dem Mehrwert zu verdeutlichen. Ganz kurz: Der Lohn entspricht dem, was zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft notwendig ist. Ein einfaches Modell: Eine lohnabhängige Person arbeitet 8 Stunden am Tag und produziert Waren, die am Markt 80 Geldeinheiten (GE) erzielen. Zur Wiederherstellung ihrer Arbeitskraft benötigt die Person 20 GE, die sie für Essen, Miete, Kinder, Hygiene usw. ausgeben muss. Da würden ja zwei Stunden Arbeit eigentlich reichen. Leider gibt es nur 2,5 GE Stundenlohn, so dass die Person 8 Stunden arbeiten muss, um auf ihre 20 GE zu kommen. Das Kapital freut sich: 60 GE werden als Mehrwert abgeschöpft. Wir nennen es Ausbeutung – ein Begriff, der tatsächlich nichts damit zu tun hat, ob der Lohn niedrig, hoch oder “gerecht” ist.
Dass dieses Modell sehr vereinfacht ist, liegt auf der Hand. Das, was zur Reproduktion als notwendig erachtet wird, ist erstens das Ergebnis sozialer Kämpfe, bei denen es zweitens auch darum geht, dass Lohnabhängige als Konsument_innen ebenfalls auf dem Markt agieren. Will sagen: Ob wir Penne mit Nordsee-Scampi und Parmesan aus Italien oder Brot mit Wurst aus Hausschlachtung essen, zur Erholung einen großen Fernseher und drei Konsolen brauchen und regelmäßig zur Kur fahren können geht aus dem Modell nicht hervor. Auch wer die Reproduktionsarbeit leistet und in welcher Beziehung Leute dabei zueinander stehen ist nicht festgelegt, also ob sie im Rahmen einer heterosexullen Kernfamilie von der Hausfrau übernommen wird, Personen sie selbst erledigen, andere dafür einstellen oder sie sich mit anderen Erwerbstätigen teilen. Schließlich wäre da noch die Frage, wie Reproduktionsarbeit subventioniert wird, zum Beispiel durch einen Familienernährerlohn, Kindergeld, Betreuungsgeld, Ehegattensplitting, steuerlche Absetzbarkeit haushaltsnaher Dienstleistungen, Familienzuschlag. Auch das verändert sich im Laufe der Zeit und der politischen Konflikte um Arbeit – Who cares? ist eine Frage, über die es sich nachzulesen und nachzudenken lohnt.
Klar ist aber: Es wird gefuttert, geputzt, gekümmert, Kinder werden aufgezogen. Reproduktionsarbeit (auch genannt: Carework, Haus-, Familien- oder Sorgearbeit) spielt für das Wohl der Menschen und für das Funktionieren des Systems eine Rolle. Sie wird traditionell mit Frauen und dem privaten Lebensbereich in Verbindung gebracht, ist im Gegensatz zur Lohn-/Erwerbsarbeit weniger theoretisch unterfüttert und erforscht. Sie wird oft vergessen. Wenn ich dich frage: “Was arbeitest du?” wirst du mir eher von deinem Job erzählen als davon, wann du zuletzt den Boden gewischt hast. Reproduktionsarbeit ist das markierte Andere zur “normalen Arbeit”. Reproduktionsarbeit wird strukturell abgewertet. Daraus ergeben sich für mich einige Punkte, über die es sich nachzudenken lohnt:
Erstens: Diejenigen, die eine als höher angesehene Bildung genießen, lernen, was die Brownsche Mollekularbewegung ist, aber müssen sich in öffentlichen Bildungsinstitutionen weder theoretisches noch praktisches Wissen über Reproduktionsarbeit aneignen. Lediglich meinen Mathelehrer war es ein Anliegen, dass die Mädchen in der Klasse bei all der Polynomdivision nicht vergessen, dass sie auch in der Lage sein müssen, einen Braten zu kochen. Rezepte gab’s trotzdem keine. Es wird davon ausgegangen, dass Leute das irgendwie geregelt kriegen. Wir reden auch kaum darüber. Ich frage mich, ob die Überforderungen, die für einige Erwachsene in diesem Lebensbereich entsteht und die in Diskursen um Verpeilung und Prokrastination zum Vorschein kommt, etwas mit der Abwertung dieser Arbeit zusammenhängt.
Zweitens: Steile Thesen zum Wandel der Arbeit taugen nichts, wenn sie Reproduktionsarbeit nicht mitdenken bzw. davon ausgehen, dass sich das bisschen Haushalt wie gewohnt von allein macht. Dabei geht es nicht ohne intersektionale Perspektive, denn Reproduktionsarbeit lässt sich nicht ohne Klasse, Geschlechterverhältnisse und die Verlagerung von Reproduktionsarbeiten auf Mirgrant_innen analysieren.