Freundliche Übernahme: NoBNQ stellt Konzept vor

Es tut sich was in der Nachbarschaft jenseits der Reeperbahn. Die Interessengemeinschaft NoBNQ hat eine Broschüre (PDF) vorgelegt, in dem sie ein tolles Konzept für die Übernahme und soziale Neugestaltung und Nutzung des Bernhard-Nocht-Quartiers in St. Pauli Süd vorstellen. Genossenschaftliche Wohnungen sind ebenso eingeplant wie eine kreative Nutzung der Gewerberäume für den Stadtteil, in denen beispielsweise das Stadtteilarchiv, der Hafenbasar, eine Kantine und ein Fab Lab Raum finden sollen.

Das besondere am vorgelegten Konzept ist, dass es nicht nur tolle Ideen, sondern auch einen Finanzierungsplan enthält. Jetzt müssen sich die Behörde und die Eigentümer Köhler und von Bargen dazu verhalten. Die taz hamburg schreibt heute, dass die Sprecherin der Stadtentwicklungsbehörde eine Förderung über das Rahmenprogramm für integrierte Stadtentwicklung (RISE) nicht für möglich hält. Ich habe aber den Eindruck, dass die Stadt aufgrund der vielfältigen Proteste Rund um Gängeviertel, NoBNQ, Frappant und co. viel zu sehr unter Druck steht, um sich das nicht noch mal ernsthaft überlegen zu müssen. Die Lektüre der Broschüre lohnt sich in jedem Fall, wie auch schon die nachfolgende Presseerklärung deutlich macht.

Beim durchblättern kann die LeserIn auf neue Ideen kommen. Es entsteht ein Bild dessen, was hier möglich ist, und was unwiderbringlich verlorengeht – wenn die Stadt uns hier nicht entschieden unter die Arme greift.

In ersten Gesprächen hat die Stadt der Initiative bereits weitgehende Finanzierungsmöglichkeiten angeboten, um das gesamte Areal zu kaufen. Unter anderem ein neues Programm (Wohnungsbaukreditanstalt: Baugemeinschaften im Bestand), das man bereits als Reaktion des Senats auf die wachsende Kritik an der neoliberalen Stadtentwicklungspolitik interpretieren kann. Dieses Programm ermöglicht es MieterInnen, ihre Häuser mit einem sehr geringen Eigenanteil zu kaufen und in eine Genossenschaft umzuwandeln. Anders als mit den Investoren, ließen sich so dauerhaft günstige Mietwohnungen auf St. Pauli halten – und zusätzlich zwei neue genossenschaftliche Mietshäuser bauen.

In unserer Broschüre wird darüberhinaus modellhaft skizziert, wie Produktion in die Stadt zurückkehren – und mit Bildung kombiniert und lokal verankert werden kann. Das Projekt soll eine öffentliche Ressource für den Stadtteil werden. Das ist der deutlich innovative Anteil unseres Konzepts, und auch dafür hat die Stadt Fördermittel, etwa aus dem “Rahmenprogramm für integrierte Stadtentwicklung (RISE) in Aussicht gestellt.

Ein Blick auf die konkreten Vorhaben verdeutlicht, welche Ausstrahlungskraft von einem solchen Projekt ausgehen wird: im Fab Lab wird Klassen- und Generationenübergreifend an modernsten digitalen Geräten gearbeitet und gelernt. Ameise Vinyl verlagert seine Plattenproduktion zu uns nach St. Pauli, ins musikalische Herz der Stadt. Harrys Hamburger Hafenbazar lockt, zurück in den alten Räumen, Touristen in St. Paulis Untergrund. Im St. Pauli Archiv lassen sich die Eindrücke wissenschaftlich vertiefen, im Café Betriebskantine Stadtfabrik wird darüber diskutiert, während Kinder im Innenhof ein Raumschiff konstruieren.

All das ist nicht umsonst zu haben. Die Zahlen finden Sie aufgeschlüsselt in der Broschüre.
Doch werfen wir einen kurzen Blick auf die Alternative der Investoren, die bereits ihren langen Schatten über das Viertel wirft. Schauen wir auf die Praxis von Köhler & von Bargen:
– ja, in zwei Häusern haben die Renovierungsarbeiten begonnen. Hier ist es gelungen, für viele Mieter eine langfristige Sicherung des Mietvertrags und eine zehnjährige Bindung des Mietpreises durchzusetzen.

Doch das gilt nicht für alle Bewohnerinnen und Bewohner des Quartiers:

– die Mieten für den weitaus größten Teil der BewohnerInnen, nämlich die in der Erichstrasse, können so rasant steigen, wie es der Mietenspiegel zulässt. Hier gibt es keinerlei Bindungen oder Zusagen.

– entgegen der öffentlichen Zusicherungen der Investoren, niemanden zu kündigen, passiert genau das: In einem Gebäude, das von den Investoren zum Abriß vorgesehen ist, wurde unter fadenscheiniger Begründung gekündigt.

– das noch aus vornapoleonischer Zeit stammende Gebäude der “Pension Flehmig” geht ohne Dach bereits in den zweiten Winter. Es wird gemunkelt, dass die Investoren es darauf anlegen, das historische Gebäude so verkommen zu lassen, dass sie auch dafür eine Abrissgenehmigung bekommen.

Wenn wir an dieser Praxis ablesen, was von den Zusagen der Investoren Köhler & von Bargen zu halten ist, dann ist für die nächsten Jahre der Ärger für die MieterInnen vorprogrammiert.

Nun hat es die Stadt in der Hand: den Stadtteil den Investoren zu überlassen – oder mit der Förderung dieses Projekts auf St. Pauli ein entschlossenes Zeichen gegen Verdrängung zu setzen – und die hier gewachsene, selbstbewusste, erfinderische, soziale Vielfältigkeit zu erhalten.

Gerade im Lichte der wachsenden Protestbewegungen gegen undemokratische Stadtentwicklung und der Forderung nach einem Recht auf Stadt, sollte deutlich sein, was hier eigentlich auf dem Spiel steht:

Besitzt die Stadt, ihre Regierung und Verwaltung, die Resonanzfähigkeit, um die Impulse, die das lokale Wissen ihr zuspielt, aufzugreifen?

Die Politik ist am Zug.