Was passiert da gerade mit der Ehe? Zum 1. Januar kommenden Jahres tritt eine Änderung des Personenstandrechts in Kraft. Eine Trauung vorm Altar ist jetzt ohne vorherige standesamtliche Eheschließung keine Ordnungswidrigkeit mehr. Eine kirchliche Trauung allein ist aber rechtlich gesehen folgenlos: Das Paar ist nicht zum gegenseitigen Unterhalt verpflichtet, für den Staat gelten beide weiterhin als ledig. Das Verbot der kirchlichen Voraustrauung fiel einer Entrümpelung des Personenstandrechts zum Opfer. Da ich eine kleine, morbide Faszination für die Institution Ehe hege, frage ich mich, was diese Reform für die Institution Ehe und für das Verhältnis von Staat und Kirchen zu bedeuten hat.
In der vergangenen Wochen wurde das Thema von der Presse aufgenommen, und nun wird über mögliche Implikationen und Konsequenzen dieser Neuregelung diskutiert. Zunächst hieß es lediglich, die Kirchen müssten nun darauf achten, dass es den Heiratswilligen klar ist, dass sie weiterhin nicht auf eine standesamtliche Trauung verzichten sollten. Ich hatte mich ein bisschen über diese Meldungen gewundert, weil mir nicht einleuchtete, warum diese Gesetzesänderung kommen sollte und welche Interessen dahinter stehen. Aber gut, eine Entrümpelungsaktion. Steht bei meinem Keller auch mal wieder an.
Am Montag meldete sich die Rechtsanwältin und Autorin Seyran Ate? mit der Befürchtung zu Wort, durch die Neuregelung würde der muslimischen Iman-Ehe “Tür und Tor” geöffnet. Seit dem heißt es “Angst vor der Vielehe. Union poltert gegen Ehe ohne Standesamt” (taz) und auch der SPD Innenexperte Wiefelspütz hat Bauchschmerzen (taz). Damit war klar, wohin der Dikurs-Hase läuft: Anti-Islamische Resentiments, Angst um das Wohlergehen von Muslimas, die sich ahnungslos oder von der Verwandtschaft erzwungen in unabgesicherte, polygame Konstellationen begeben. Wenn ich das alles richtig verstehe, sind bei einem Imam geschlossene Bindung von der bis Ende des Jahres gültigen Regelung ohnehin nicht betroffen, denn – und diesbezüglich lasse ich mich gerne korrigieren – islamische Gemeinden sind keine religiösen Körperschaften des öffentlichen Rechts, und damit im alten Gesetzestext nicht gemeint. Insofern öffnet sich durch die Neuregelung weder eine Tür, noch ein Tor: Die waren schon auf, wenn man mal von irgendwelchen Signalwirkungen absieht.
Die aktuelle Diskussion berührt die Frage, wie es der Staat mit den Lebensentwürfen und Beziehungsformen der Leute hält: Vielehe ist ja in Deutschland verboten. Das gilt aber nur für die standesamtliche Variante, also für staatlich legitimierte Ehen und Partnerschaften. Wer ansonsten freiwillig in Poly-Konstellationen lebt, kann das machen. Ob der Staat solche Partnerschaften anerkennen sollte oder nicht ist eine interessante Frage.
Eine andere Frage, die sich anlässlich der Reform stellt, ist aber die nach dem Verhältnis von Staat und Kirche. Ist es eine Aufwertung von Kirche, wenn der Staat den Leuten erlaubt, dort irgendwelche Bünde fürs Leben einzugehen, ohne das der Staat was damit zu tun hat? In meiner Lesart ist es eine Abwertung. Im Kulturkampf sicherte sich der Staat u.a. durch Einführung der Zivilehe seine Vormachtstellung gegenüber der Kirche. Das institutionalisierte Christentum hat seit dem an Bedeutung verloren, und stellt insofern für den Staat keine Bedrohung mehr dar. In der Wikipedia findet sich dementsprechend zur aktuellen Reform:
Mangels praktischer Bedeutung „zumindest im Verhältnis zu den beiden großen Kirchen“ sowie unter Verweis auf § 1310 BGB und den sogenannten Kaiserparagraphen, hielt der Gesetzentwurf die Vorschriften für entbehrlich. Der Bundesrat hatte dagegen im Hinblick auf die „anderen zwischenzeitlich in Deutschland verbreiteten Religionsgemeinschaften“ eine auf die Alternative der „religiösen Feierlichkeit“ beschränkte Aufnahme als § 70 Abs. 1a gefordert, dem Gesetz aber schließlich auch ohne das Verbot zugestimmt.
Es wurde also von Seiten des Bundesrates darüber nachgedacht, das Verbot zu belassen, aber auf andere “religiöse Feierlichkeiten” auszuweiten. Letztlich entschied man sich jedoch dafür, das Verbot zu streichen. Es spielte in den Augen des Gesetzgebers einfach keine Rolle mehr.
Das heißt, dass eine kirchliche Trauung für den Staat heute die Bedeutung einer Liebeszeremonie mit einem Guru der Wahl oder auch ganz ohne Zeugen hat. Es ist egal, und somit verweist die Reform in erster Linie auf den Bedeutungsverlust institutionalisierter Religion. In der öffentlichen Debatte wird das Thema allerdings viel widersprüchlicher verhandelt. Dort werden Fragen nach der Bedeutung von Religionen für das Leben der Menschen in den Mittelpunkt gestellt, und der Islam wird ein weiteres Mal als Bedrohung für die Rechte der Frau artikuliert:
Und wie immer, wenn die Union vor der Stärkung der Religionsfreiheit und den Gefahren für die Gleichberechtigung der Frau warnt, geht es nicht um die Papisten, sondern um den Islam. (Christian Rath in der taz)
Und jetzt? Die Änderung könnte zurückgezogen oder überarbeitet werden. Symbolisch geschlossene Vielehen könnten staatlich sanktioniert werden. Damit würde aber gleichzeitig ein Diskursraum geöffnet für Fragen nach dem Sinn der Institution Ehe, nach Lebensentwürfen jenseits monogamer Zweierkisten und dem Stellenwert, den der Staat verschiedenen Religionen oder Glaubensrichtungen einräumt. Ich bin gespannt, ob da noch was nachkommt.