Me and Winnipeg

Juni 2011

Dienstag Abend. Morgen ist der letzte Arbeitstag meines ersten “richtigen” (festangestellten) Jobs. Ich bin mit einer Freundin auf dem Weakerthans Konzert im Grünspan. Im Grünspan war ich noch nie in 9 Jahren Hamburg, und ich weiß auch warum (Bier in Plastikbechern. Und ist um 21 Uhr da sein und die Vorband schon verpasst haben heute normal?). Die heutige Freundin hat vor zwei Jahren einen Job bekommen, um den ich mich beworben hatte. So lernten wir uns kennen. Die Weakerthans spielen meine Lieblingslieder von früher, von meiner Platte für die Ewigkeit. Insert more kitsch über Älter werden und wie die Dinge sich entwickeln here (ja, auch graue Haare).

Oktober 2007: Ein Traum

März 2003 auf nillson.de

Samstag morgen, ich sitze im Zug, komme aus Hamburg und fahre jetzt von Frankfurt nach St. Wendel, ins Saarland. Nach Hause. Ausgestattet mit meinem neuen alten PowerBook kann ich endlich mal unterwegs was schreiben. Es soll um meine Platte für die Ewigkeit gehen, meine persönliche Lieblingsplatte schon seit einiger Zeit, und ich glaube, auch für die Zukunft. The Weakerthans – Left and Leaving.

Es ist kein Zufall, dass ich diesen Text jetzt schreibe, auf dem Weg nach Hause. Left and Leaving ist ja so ein wunderschönes Wortspiel, das nicht einfach übersetzt werden kann. Verlassen und verlassen. Verlassen im passiven und im aktiven Sinn. Die Einen sind viel unterwegs, weil sie auf Tour sind, Andere ziehen um, und zurück kommen doch alle irgendwann. Wenn auch nur zu Besuch. Auf dem Weg zurück nach Hause höre ich diese Platte besonders gerne. “My city’s still breathing (…) I’m back with scars to show, back with the streets I know”.

Dieses Mal habe ich was Neues ausprobiert. Ich bin mit einem Nachtzug gefahren, ein unkomfortabler Sitzplatz im Sechserabteil mit vier anderen Menschen. Ich konnte nicht gut schlafen, das lag aber auch daran, dass ich nicht daran gewöhnt bin, so früh schlafen zu gehen und so früh aufzustehen. Um kurz vor 6 Uhr kam der Zug ja schon in Frankfurt an. Demnächst gönne ich mir vielleicht mal den Liegewagen, denn ich finde es schön, Nachts zu reisen. Das Infofaltblatt der Bahn sagt “Sie sparen Zeit, wenn sie Nachts reisen” – “And I’m leaning on a broken fence between past and present tense.”

The Weakerthans kommen aus Winnipeg in Kanada. Der Sänger, John K. Samson, hat früher mal bei Propaghandi Gitarre gespielt und auch gesungen. Was er heute macht, ist allerdings etwas Anderes als der Melody-Hardcore seiner alten Band. Alles ist etwas indirekter, sowohl die Aussage als auch die Musik. Ruhiger und besonnener. Kein “stick the fucking flag up your goddamn ass you sonofabitch”.

Das Hamburger Label B.A.-Records von Marcus Wiebusch war damals der Vertrieb von Propaghandi und dann auch der ersten beiden Weakerthans Platten Fallow und Left and Leaving. Ich glaube, die Left and Leaving habe ich mir dort blind gekauft. Ich überlege grade, wann ich sie zum ersten Mal live sah. Das war wohl in Trier und da waren sie schon Haupt-Act, aber die Vorgruppe weiß ich nicht mehr. Und kurz darauf hab ich sie auch noch mal in Bonn gesehen, auf der Rheinkultur. Eigentlich wundere ich mich jetzt über mich selbst. Mein Gedächnis ist doch eigentlich ganz gut, was so was angeht.

Der Zug ruckelt und dröhnt, es ist einer dieser furchtbaren Pendolino-Regionalexpresszüge mit Neigetechnik, die fahren immer so schief und dann wird mir schlecht. Vor mir sitzen fünf Herren, die einen Ausflug machen. Sie sind so 50+ und nehmen grade ein Sektfrühstück zu sich, sogar Servietten als Tischdecke haben sie dabei. Außerdem riecht es seltsam nach Salbe und der Schlafmangel macht sich bemerkbar.

Ich wünsche mir, der Himmel wäre grade nicht bedeckt, denn John K. singt grade “I love this place / the enormous sky”, eine der lauteren Stellen in diesen wunderschönen Songs, da geht mir immer das Herz auf. Und wenn ich schon nicht den kanadischen Himmel sehen kann, dann doch wenigstens den Rheinland-Pfälzischen. Ist das eigentlich Emo – Rock? Irgendwie schon. Im besten Sinne.

Ich mag ja Musik bzw. Texte mit diesen herausragenden Sätzen. Die einem, auch wenn man gar nicht so bewusst zuhört, immer und immer wieder auffallen. Das ist ein Grund, warum ich die Left and Leaving so liebe. In “Pamphleteer” singt John K: “How I don’t know what I should do with my hands when I talk to you. How you don’t know where you should look, so you look at my hands”. Oder in “Aside”: “rely a bit to heavily on alcohol and irony”. JA! Oder?

Im Laufe des Jahres soll ja endlich die neue, dritte Weakerthans kommen. Mensch, da freu ich mich schon drauf. In Deutschland wird sie wohl bei Grand Hotel van Cleef erscheinen, also wieder die alte B.A.-Connection. Und dann gibts bestimmt auch wieder eine Tour.

Ich muss sagen, ich finde das richtig toll, so businessmäßig mit Notebook im Zug zu sitzen und zu “arbeiten”. Dabei erzähle ich euch ja nur von Dingen, die mir gefallen. Ich habe mir übrigens heute Morgen die Alert gekauft, ein wunderbares Interviewmagazin, das Menschen ausreden lässt und wo sich Gespräche entwickeln dürfen. Eben hab ich zum Beispiel ein Interview mit Gianna Nannini gelesen. Von alleine wäre ich ja nicht auf die Idee gekommen, diese Frau interessant zu finden. Wusstet ihr, dass Alex Hacke von den Einstürzenden Neubauten in ihrer Liveband war? Und ich hab übrigens mal im Café von Nanninis Eltern in Sienna ein Eis gegessen.

Oh, jetzt schweife ich aber zu sehr ab. Naja, ich fürchte, dass ich eigentlich nicht gut über Musik schreiben kann. Verzeiht mir, dass ich euch vielleicht nicht wirklich vermitteln konnte, was das Besondere an Left and Leaving ist, was sie – für mich – zu einer Platte für die Ewigkeit macht. Aber hört sie euch trotzdem mal an.

www.theweakerthans.org

One comment

  1. Jan says:

    Interessanter Blogpost! Dieser Mix aus Momentaufnahmen vom Zugfahren und den kleinen Musikgeschichten gefällt mit.

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