Ein Rant über Primarschule und Elterngeld

Bundesstipendien-Programm für die zukünftige Elite statt einer ordentlicher Bafög-Erhöhung alle Studierenden, die Bafög-berechtigt sind. Kein Elterngeld für Transferleistungsbezieher_innen, keine Primarschule in Hamburg. Mir wird ganz anders, wenn ich mir die Entwicklungen der letzten Wochen ansehe. Wenn hier eine die Verhältnisse zuspitzt, dann ist es die liberal/ökologisch/konservative Mittelschicht in ihren verschiedenen Figurationen. Abstiegsängste und Normalitätsvorstellungen führen zu immer ausschließenderen Investitionen ins eigene(!) Kind und in die eigenen Privilegien.

Die Herkunftseliten dünken sich Leistungseliten und schämen sich nicht zu behaupten “Ein Arbeiterkind kann vom Kind eines Vorstandsvorsitzenden profitieren, aber nicht umgekehrt, und das ist nicht zu verantworten!” Es sind aber nicht allein die Vorstandsvorsitzenden und der Blankeneser Geldadel, die sich erfolgreich gegen die Einführung der Primarschule in Hamburg eingesetzt haben. Es sind auch die netten jungen Akademikerfamilien aus Eimsbüttel, die beim Gespräch mit den Nachbar_innen im Bioladen nicht sagen würden, dass der Sarrazin ja auch irgendwo Recht hat oder dass sie mal Schill gewählt haben. Aber bei der Vorstellung, ihre eigenen Kinder könnten nicht nach vier Jahren in die Pforten des Gymnasiums unter ihresgleichen auf die Universität vorbereitet werden, kriegen sie Panik. Sie erzählen sich selbst und anderen, diese Reform sei einfach nicht gut vermittelt worden und man fürchte Chaos bei der Umstellung, das nicht gut ist für die Kinder. Sie fürchten aber auch um ihre Privilegien. Privilegien, von denen sie sich einbilden, sie alleine hart erarbeitet zu haben, als würden die Zugehörigkeit zur “Mehrheitsgesellschaft”, die Entscheidung für das normale Leben und die Herkunft, die eine akademische Ausbildung ermöglichte, keine Rolle dabei spielen.

Warum sollten sie auch ihre gesellschaftliche Position hinterfragen, wenn die Regierungen seit Jahren genau dieser elitären, neoliberalen Logik forciert? Eltern werden familienpolitisch seit knapp einem Jahrzehnt als Personen adressiert, deren Bedürfnisse am Besten mit Hilfe eines Opportunitätskostenmodells erfasst werden können. Das Grundprinzip des Elterngeldes ist bekanntermaßen der Lohnersatz für das Elternteil, welches zugunsten der Kinderbetreuung zwischenzeitlich aus dem Beruf aussteigt. Die Berechnung geht so: Zu welchem Preis leiste ich mir den Berufsausstieg? Was muss mir der Staat ersetzen, damit mein Lebensstandard in den Elternmonaten ungefähr gleich bleibt? Auf dieser Prämisse gebaut wurde das Elterngeld, gerne als “Wurfprämie” für Besserverdienende bezeichnet, ein schillernder Mix aus Neoliberalismus mit leichtem feministischen Einschlag (“Vätermonate”) und konservativen Spuren. Es geht nicht um ein ausreichendes Haushaltseinkommen für alle Familien mit kleinen Kindern, sondern um die individuelle Kosten-Nutzen-Rechnung. Die einzige Ausnahme hierbei ist auch nach allen Kürzungsvorschlägen der letzten Wochen die Alleinernährerfamilie. Für sie war das Elterngeld am wenigsten konsequent, denn, in real existierenden Klischees gesprochen: Die Hausfrau ohne eigenes Einkommen in den Monaten vor der Geburt erhält den Grundbetrag des Elterngeldes unabhängig vom Verdienst ihres Mannes. Die von ALG 2 lebende Alleinerziehende zukünftig nicht.

“Ist das Gerecht gegenüber denen, die arbeiten?” fragt sich nicht nur Christina Schröder und erhält dafür vermutlich Zustimmungen bei einigen, die sich sowieso für den “Zahlmeister der Nation” halten und nicht sehen, dass die Mittelschicht schon jetzt mehr aus dem Gemeinwesen bekommt als sie einzahlt. Es sind die Mittelschichtsfamilien, die öffentliche Einrichtungen wie Schwimmbäder, Theater und Bücherhallen nutzen und ihre Kinder aufs Gymnasium schicken, wo der Unterricht pro Kind teurer ist als auf der Real- oder Hauptschule. Eigenverantwortung, Leistungsindividualismus und Refamiliarisierungstendenzen produzieren eine Stimmung, in der Leuten, denen es eigentlich ganz gut geht, Angst davor haben, dass “sozial Schwache” (als seien die es von Natur aus, als sei dies kein gesellschaftliches Verhältnis!) ihnen und ihrem Nachwuchs im Weg stehen beim Kampf gegen Prekarisierung.

One comment

  1. Sandra says:

    Ich finde gerade gegenteilig, dass mehr Eigenverantwortung und mehr Familiensinn die Angst vor der unbekannten Zukunft und der allmächtigen Staatsnomenklatura reduziert. Und weniger Angst bedeutet immer auch mehr Sinn für Gerechtigkeit. Wer aus einer intakten Familie kommt, der weiß was es bedeutet mit anderen zu teilen und zur Freude anderer auf etwas zu verzichten. Der weiß was es heißt, etwas für das Gemeinwohl der Familie zu leisten.

    Mit dem Zusammenbruch der Familie und dem Absterben der Eigenverantwortung ist doch erst der Nährboden für den neuen Rassismus und für die totalitären Töne in der Gesellschaft gelegt worden.

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