hatr.org – Wie Maskulisten den Feminismus unterstützen

Leah, Nadine und ich haben zusammen einen Artikel geschrieben, in dem wir uns mit Kommentarpolitiken auf Blogs mit gesellschaftskritischem und emanzipatorischen Anspruch und insbesondere auf queer-/feministischen Blogs auseinandersetzen und das Projekt Hatr vorstellen. Wir möchten mit dem Artikel außerdem weitere Blogs und Projekte ermutigen, sich bei Hatr anzumelden und damit andere Projekte zu unterstützen. Der Text ist in einem von Andreas Kemper herausgegebenen Sammelband mit dem Titel “Die Maskulisten” erschienen, der kürzlich bei Unrast veröffentlicht wurde.

hatr.org – wie Maskulisten den Feminismus unterstützen

Inhalt:
Kackscheiße im Netz
Das Projekt Hatr
Die Resonanz auf Hatr

Wer die Seite Hatr.org im Browser aufruft wird sich wundern. Auf der Startseite finden sich unter der Überschrift “Das Letzte” eine Reihe von scheinbar zusammenhanglosen Kommentaren von “Leon”, “Horst” oder “Antigenderwahnbeauftragter”. Manche Einträge sind kurze, drastische Beschimpfungen, bei anderen handelt es sich um längere Texte, die zum Teil nicht zu verstehen sind, ohne zu wissen, worauf sie sich beziehen. Ab und zu taucht der hervorgehobene Name “Xena” in den Texten auf. Oben rechts auf der Seite ist ein “Trollcounter”, der die Zahl der bereits geposteten Kommentare anzeigt. Darunter ein Flattrbutton ((Flattr.com ist eine Internetdienst, der es ermöglicht, frei verfügbare Inhalte im Netz durch Mikrospenden zu unterstützen. Ein Teil der Einnahmen von Hatr kommt über diesen Dienst zusammen.)) und für diejenigen, die in ihrem Browser keinen Werbeblocker installiert haben, sichtbare Google Anzeigen. Das Logo von Hatr ist ein pinkfarbenes Herz mit meinem geschwungenen “h”.

Hinter Hatr steckt die Idee, einen Umgang mit Troll- und Hasskommentaren auf Blogs zu finden, der für die Betreiber_innen der Blogs weniger frustrierend ist. Das Thema beschäftigt viele Blogger_innen, die mit ihrer Arbeit gesellschaftliche Dominanzverhältnisse und Diskriminierung thematisieren. Wir, die Autorinnen dieses Textes, schreiben Blogs, die in der queer-/feministischen Netzszene verortet sind. In diesem Kontext ist auch das Projekt Hatr entstanden. Die meisten Blogs, die sich derzeit daran beteiligen, stammen ebenfalls aus dieser Szene. Diskriminierung und Unterdrückung beschränken sich aber weder im Netz noch in der Gesellschaft auf (Hetero-)Sexismus und Antifeminismus. Rassismus, Antisemitismus, Klassismus, die Unterdrückung von Menschen, die nicht den gängigen Schönheitsvorstellungen und Körpernormen entsprechen und weitere Formen der Herrschaft wirken in unserer Welt zusammen. Viele Blogs, die bei Hatr mitmachen, kritisieren Dominanzverhältnisse entsprechend mit einem intersektionalen Ansatz. Sie thematisieren zum Beispiel auch Rassismus oder Körperfeindlichkeit und erhalten entsprechende Hass-Kommentare. Im Kontext dieses Buches über “Die Maskulisten” stellen wir das Problem der *istischen Kommentare im Netz und das Projekt Hatr am Beispiel von Sexismus, Antifeminsimus und Maskulismus dar.

Ich seufze und drücke „löschen“. Es ist kurz nach Mitternacht und eigentlich wollte ich gerade ins Bett gehen. Das muss jetzt aber noch einen Moment warten, denn inzwischen weiß ich: wo ein Fotzen-Kommentar ist, da lauern auch noch andere und gerade zu nächtlicher Stunde fallen die Hemmungen besonders schnell.

So beschreibt die Bloggerin Anna im Februar 2010 ihre Erfahrungen mit misogynen Kommentaren in feministischen Blogs. In den Kommentaren ihres Artikels „Ihr durchtriebenen, miesen Fotzen!“ auf Mädchenmannschaft.net schloss sich eine rege Diskussion über das Problem und mögliche Umgangsweisen an, darunter auch die Idee, Hass-Kommentare auf einer Seite zu sammeln. Eine Bloggerin verlinkte in ihrem Kommentar das US-amerikanische Projekt “Monetizing the Hate”. Dessen Betreiberin Heather Champ veröffentlicht Kommentare, die ursprünglich auf ihrem Blog gepostet werden, auf einer eigenes eingerichteten Website, die von vielen bunten Werbebannern flankiert ist. Dieses Projekt und sein Leitspruch “Monetizing the Hate” ist einigen Leuten im Kopf geblieben, die sich auf dem ersten Gendercamp im Frühjahr 2010 trafen. ((Das Gendercamp ist ein Vernetzungstreffen der (queer-)feministischen Netzszene. Es ist als Barcamp organisiert, d.h. die Teilnehmer_innen gestalten das Programm vor Ort selbst.)) Eine der Sessions widmente sich dem Thema des Umgangs mit Hass-Kommentaren auf queer-/feministischen Blogs. Als die Idee, die Mechanismen von Internetwerbung und Google für den eigenen Zweck auszunutzen, dort zur Sprache kam, waren einige Teilnehmer_innen sofort Feuer und Flamme. Noch auf dem Camp wurde Hatr ins Leben gerufen und per Mailinglisten- und Chatkommunikation in den folgenden Monaten zum Laufen gebracht. Hatr.org startete am 1. April 2011, ist also jetzigen zum Zeitpunkt ein knappes Jahr online.

Die misogynen Kommentator_innen, (Wo_)Mansplainer, Grundsatzdebattentrolls und Hater sind dadurch nicht verschwunden, spülen aber bald ein bisschen Geld in die notorisch leeren Kassen emanzipatorischer Projekte. Bevor wir die Empowermentstrategie Hatr näher vorstellen, möchten wir im Folgenden das Phänomen der Hass-Kommentare im Netz aus der Perspektive queer-/feministischer Blogger_innen erläutern. Abschließend widmen wir uns der Resonanz, die es seitens der Öffentlichkeit und der “Betroffenen” zu unserem Projekt gegeben hat.

Kackscheiße im Netz

“Sexistische Kackscheiße” ist seit einer Aufkleber- und Plakataktion der AG Gender Killer vor einigen Jahren ein feststehender Ausdruck für die großen und kleinen, die subtilen und offenen Sexismen, stereotypen Repräsentationen und frauen-lesben-trans*-feindlichen Artikulationen, die uns in der Öffentlichkeit ständig umgeben. Das Leben ist kein Ponyhof, und so bleiben auch queer-/feministische Blogs nicht verschont von Leuten, die meinen, ihren Mist in die Kommentarspalten kippen zu müssen. Die Diskussion um den Umgang mit Hasskommentaren im Netz ist keine neue. Immer wieder wird von Queer-/Feminist_innen auf Veranstaltungen wie der Re:publica ((Die Re:publica ist eine jährlich stattfindende Konferenz zu digitaler Gesellschaft, Netzkultur und Blogs in Berlin.)), in Blogartikeln ((vgl. Mädchenmannschaft: she:publica 2010: Sexismus im Netz; Mädchenmannschaft: Frauenfeindlichkeit im Internet gibt es nicht; Grünes Blog: Bericht zum Workshop 12: “Alles eine Frage der Macht: Sexismus im Netz”; Mädchenmannschaft: Ihr durchtriebenen, miesen Fotzen!; Tutnurso: Menscheln 2.0)) oder dem Gendercamp überlegt, wie mit dem Hass, der uns im Netz entgegenschwemmt, sinnvoll umgegangen werden kann. Sollen wir uns auf Diskussionen einlassen? Wann fangen wir an zu löschen oder löschen wir konsequent jeden Kommentar, der eine konstruktive Diskussion verhindern könnte? Oder wäre es besser, auch die drastischen Kommentare stehen zu lassen, damit allen bewusst wird, womit sich Blogger_innen tagtäglich konfrontiert sehen? Aber sind die paar antifeministischen Hass-Kommentator_innen überhaupt in irgendeiner Weise repräsentativ für den Zustand der Gesellschaft? Trollkommentare stören nicht nur die Diskussionskultur auf Blogs und anderen Internetseiten, sie verbreiten nicht selten auch diskriminierende Inhalte, die die Blogbetreiber_innen und ihre Leser_innen verletzen. Hinzu kommen persönliche Beleidigungen, Beschimpfungen und explizite Gewaltandrohungen, mit denen die Autor_innen umgehen müssen und die im Übrigen nicht nur in Form von Kommentaren, sondern auch per Email an sie gerichtet werden.

Die Diskussion wird häufig unter dem netzkulturellen Phänomen der “Trolle” gefasst. Dies trifft aus unserer Sicht nur zum Teil zu, verkürzt die Problematik und führt zu Missverständnissen. Als Troll wird gemeinhin eine Person bezeichnet, die sich in eine konkrete Diskussion oder einen kommunikativen Raum einmischt, um mit ihren Beiträgen gezielt zu stören und zu provozieren. Das kann geschehen, indem Nonsens gepostet oder gegen die in diesen Raum vorherrschenden Normen verstoßen wird. Im Kontext feministischer Blogs sind verbale Gewalt, die durch sexistische oder anderweitig diskriminierende Begriffe ausgeübt wird, und die Reproduktion diskriminierender Diskurse solche Normverstöße, die provozieren. Unklar ist, warum Personen als Trolle agieren. Für viele scheint es auf eine Art reizvoll zu sein, diese Rolle einzunehmen. Sie mögen es als intellektuelle Herausforderung ansehen (“Womit kann ich in diesem Kontext am besten trollen?”) oder suchen Befriedigung in der Macht, die sie in dieser Rolle auf den Kommunikationsraum und die dort agierenden Personen ausüben. In der Diskussion um Trolle wird die Beliebigkeit betont, mit der sie angeblich vorgehen. Das heißt, dass es für eine trollende Person keinen Unterscheid machen sollte, ob er_sie sich in einem Forum für Waffenbesitzer_innen vehement für ein Waffenverbot einsetzt, die in einem Handarbeitsblog vorgestellten Projekte als “hässlichen Dreck” bezeichnet oder in einem feministischen Blog mit biologistischen Grundsatzdiskussionen, der Verharmlosung von Vergewaltigung oder Hate-Speech daherkommt. Wir haben den Eindruck, dass diese Beliebigkeit für die meisten “Troll”-Kommentator_innen auf feministischen Blogs nicht zutrifft. Deutlich ist, dass sich viele der in dieser Weise aktiven Personen in maskulistischen Kreisen aufhalten und in entsprechenden Foren organisiert sind. Einige von ihnen führen selbst prominente Blogs der antifeministischen Internetszene. Aber auch Personen, die sich nicht als Maskulisten identifizieren, bringen durch ihr Kommentarverhalten zum Ausdruck, dass ihre Einstellungen tief in gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen und reaktionären Diskursen verwurzelt sind. Ihnen geht es also ebenfalls nicht darum, im Sinne eines ungerichteten Trollens zu provozieren, sondern um die Verteidigung der herrschenden Ordnung und ihrer gesellschaftlichen Dominanzposition.

Es handelt sich also um Menschen, die aus einer politischen Überzeugung heraus strategisch agieren, Kommunikationsräume stören und auch gezielt einzelne Personen attackieren. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass besonders nicht sehr reichweitenstarke oder neu gegründete queer-/feministische Blogs Ziele dieser Interventionen in die Diskussionskultur werden. Solche Blogs pflegen in der Regel (noch) keine dezidierte Moderationspolitik, die diesen Interventionen in Teilen entgegenwirkt. In den meisten Fällen gießen Antifeminist_innen und Maskulisten gezielt ihr reaktionäres Gedankengut in die dortigen Kommentarthreads, nicht selten mit aggressiven Drohgebärden. Dies verstehen wir zum einen als Angriff auf eine freie und inklusive Diskussionskultur und Artikulation von Gesellschaftskritik. Zum anderen interpretieren wir die Besetzung von Kommentarthreads in kleineren Blogs als “Silencing”-Strategie: Die Einschüchterungsversuche sollen den Betreiber_innen das Gefühl geben, allein gegen eine antifeministische Mehrheit zu schreiben und ihre Energie auf Gegenargumentation lenken.

Durch unsere Erfahrungen als Leserinnen und Blogbetreiberinnen haben wir ein Muster der antifeministischen Kommentare erkennen können. Diese lassen sich quer zu den oben genannten Trolls, Maskulisten und sonstigen Sexist_innen zu vier Typen gruppieren. Da sind erstens diejenigen Kommentator_innen, die uns die Welt erklären wollen. Im englischsprachigen Kontext werden für dieses Phänomen die Begriffe “mansplaining” (zu deutsch: “herrklären”) respektive “womansplaining” benutzt. ((Eine Definition von “mansplainer” findet sich auf Scienceblogs/Zuska: You May Be A Mansplainer If …)) Manche verwenden auch den gendergerechten, wenn auch nicht körperfreundlichen Begriff “assplaining”. Das Herrklären tritt zum Beispiel auf, wenn dominanzgesellschaftliche Diskurse, Normen und Institutionen kritisiert werden und ein_e Kommentator_in darauf hin das dringende Bedürfnis verspürt, von oben herab erklären zu müssen, wie der Sachverhalt normalerweise verstanden wird und warum es sich dabei um eine ganz harmlose, unproblematische Sache handelt. Hinter dieser Art von Kommentaren steckt meistens keine trollige Intention. Sie nerven aber trotzdem. Es wäre wünschenswert, wenn alle vor dem Schreiben noch mal kurz in sich gehen und überlegen, ob der_die Autorin seine_ihre Kritik wohl aus Unwissen heraus formuliert oder ob das eigene Unverständnis gegenüber dem Text nicht eher aus den unterschiedlichen Erfahrungen rührt, die ungleich positionierte Personen in der Gesellschaft machen. Zudem führt ein solches Kommentarverhalten schnell zu einer Scheindiskussion über die angebliche Gleichheit Aller, die Machtverhältnisse vollkommen ausblendet und diejenigen zum schweigen bringt, die jene mitdenken. Dies führt uns zum zweiten Typus, dem_der Privilegienverweigerer_in. Der Verweis auf privilegierte gesellschaftliche Positionen führt häufig zu Abwehrmechanismen in Form einer Umdeutung. Dass es einen Unterschied macht, wenn eine Person gleich in mehrerer Hinsicht zu der gesellschaftlich dominanten Gruppe zählt, also zum Beispiel ein heterosexueller, weißer Cis-Mann ohne Behinderung ist, wird nicht nur negiert, sondern der Hinweis auf die Zugehörigkeit zur dominanten Gruppe wird als sexistische Stereotypisierung oder “Argumentum ad hominem” gedeutet. Die Benennung der Sprechposition der einzelnen Diskutant_innen sei demnach ein persönlicher Angriff und mache so eine sachliche Auseinandersetzung unmöglich. Hinter dieser Abwehrstrategie steckt der Irrglaube, dass sich bei einer Diskussion neutrale Gesprächspartner_innen gegenübertreten, die in einem luftleeren Raum über objektive Sachverhalte sprechen und daher wertfrei argumentiert werden müsse. Dabei bleibt unbeachtet, dass nahezu alle gesellschaftlichen Diskurse Austragungsorte von Kämpfen um Hegemonie und Definitionsmacht sind. Im Rahmen von hegemonialen Diskursen können dominante Positionen für sich in Anspruch nehmen, objektiv und neutral zu argumentieren. Andere Positionen sowie deren Themen werden in der Regel markiert und als partikular wahrgenommen. Wenn in gegenhegemonialen Räumen, als die wir queer-/feministische Blogs verstehen, auch dominante Sprechpositionen als solche benannt werden, wird transparent gemacht, dass auch diese partikular sind. Das kann allerdings feststehend geglaubte Weltbilder ins Wanken bringen. Um bei ihrer Haltung bleiben zu können, verfügen Privilegienverweigerer_innen über ein ganzes Arsenal an Derailing-Strategien, mit denen die Erfahrungen des Gegenübers heruntergespielt und ausgeblendet werden können. ((vgl. die sehr empfehlenswerte Seite Derailing for Dummies)) Denn für sie steht fest, dass Feminist_innen die eigentlichen Sexist_innen sind. Drittens begegnen uns Grundsatztrolle. Sie kommen auf den ersten Blick harmlos daher und stellen gezielte, scheinbar interessierte Nachfragen zu grundsätzlichen Fragen. Was dann folgt sind immergleiche Argumentationen, zum Beispiel zu geschlechtergerechter Sprache oder rund um den Topos “Männer und Frauen sind von Natur aus so und so.” Neben sämtlichen Erkenntnissen kritischer Wissenschaftsfelder wie der Gender Studies – die als parteisch und ideologisch abgelehnt werden – können auch Verweise auf naturwissenschaftliche Arbeiten, die sich gegen reduktionistische Vorstellungen von Geschlecht wenden, die Fragen der Grundsatztrolle nicht zufriedenstellend beantworten. Am Ende der Diskussion ziehen diese stets das Fazit, dass man mit Feminist_innen nicht diskutieren kann, weil sie ihre Augen – Entschuldigung, ihre Äuginnen – vor den Fakten verschließen. Den Grundsatztrollen gelingt es mit ihrer Strategie ausgezeichnet, lange unbemerkt zu bleiben und dabei unglaublich viel Zeit und Raum in Beschlag zu nehmen, konstruktive Diskussionen abzubrechen und ins Lächerliche zu ziehen. Die vierte Gruppe bilden schließlich Trolle, die ihrem Hass freien Lauf lassen und die Kommentarspalten mit Kraftausdrücken, sexistischen Beschimpfungen, Gewaltphantasien und Drohungen zuspammen. Sie sind besonders derbe, aber immerhin schnell zu identifizieren.

Die technischen Möglichkeiten, Kommentare vorab zu filtern, sind bisher nicht ausreichend, um dem Problem zu begegnen. Wortfilter können noch nicht erkennen, in welches Bedeutungsnetzwerk ein Begriff semantisch eingebunden ist. IP-Adressen von Nutzer_innen sind in den meisten Fällen nicht fest zugeordnet, was im Sinne des Datenschutzes auch begrüßenswert ist. Den Weg einer Strafanzeige zu gehen und über den Provider den Anschluss ermitteln zu lassen, der zu einem bestimmten Zeitpunkt mit einer bestimmten IP im Netz war, ist zwar möglich, insofern die IP-Adresse nicht verschleiert wird, aber mühsam und, sofern ein_e Anwält_in hinzugezogen wird, auch kostspielig. Emailadressen, die in den meisten Blogs beim Kommentieren angegeben werden müssen, werden von der Blogsoftware nicht überprüft. Schließlich gibt es noch das Mittel, Kommentare nur nach einer Registrierung zu erlauben. Dies hindert die Kommentierenden aber auch nicht daran, sich schnell eine neue Wegwerfadresse zu klicken, nachdem sie gesperrt worden sind. Außerdem sind alle Barrieren, die wir gegen Trolle und antifeministische Kommentator_innen aufbauen auch Hürden für andere Menschen. Das “Bloghausrecht” nach dem Motto “my blog is my castle”, d.h. eine Kommentarpolicy, wonach die Autor_in des Blogs entscheidet, welche Kommentare sie auf ihrer Seite akzeptiert und welche nicht, gilt darum den meisten als einziges Mittel im Umgang mit den Hate-Kommentaren. Es geht schließlich um das Ziel, eine für am Thema interessierte Menschen möglichst angenehme Diskussionskultur zu fördern und Trigger durch verbale Gewalt zu vermeiden. ((Der Begriff “Trigger” wird in der Psychologie verwendet, um Sinneseindrücke zu beschreiben, die eine Erinnerung an ein traumatisches Erlebnis hervorrufen und bewirken, dass die betroffene Person die vergangene Situation im Sinne eines Flashbacks emotional aufs Neue erlebt. Alltagssprachlich wird der Begriff auch verwendet, wenn es allgemein um Auslöser für ein gesteigertes Unwohlsein geht, die dazu führen, dass eine Person eine Situation nicht ertragen kann und z.B. das Lesen eines Textes abbrechen muss.))

In der queer-/feministischen Blogszene wird viel darüber diskutiert, wie streng eine angemessene Kommentarpolitik sein sollte. Auf der einen Seite sprechen die Vermeidung von Triggern und der Reproduktion von Diskriminierung sowie der Wunsch, in den Diskussionen auch mal weiterzukommen statt sich immer um die gleichen Punkte zu drehen, dafür, sehr sensibel und selektiv bei der Auswahl der Kommentare vorzugehen. Dadurch droht die Beteiligung auf queer-/feministischen Blogs aber auch unglaublich voraussetzungsvoll zu werden für diejenigen, die neu einsteigen, mit den Diskursen aus unterschiedlichen Gründen nicht vertraut sind und eine entsprechende Sprache nicht sprechen können oder wollen. In diesem Spannungsfeld liegt es letztlich bei den jeweiligen Blogbetreiber_innen bzw. Blogautor_innen, einen Moderationsstil zu entwickeln, den sie für ihr Blog oder ein bestimmtes Thema angemessen finden. Es schadet dabei nichts, die Moderationspolicy auf dem Blog transparent zu machen. Das Ausüben des Hausrechtes zieht aber in jedem Fall regelmäßig Zensurvorwürfe nach sich. Kommentare wie der von “Frank” sind dabei noch harmlos: “Ja, der Genderwahn ist seinem Namen nach ein schwachsinnig-unlogisches Konstrukt, dass vor der Logik durch Zensur geschützt werden muss; ansonsten wäre seine Existenz unmöglich.” Besonders gerne wird die Moderationspolitik mit den staatlichen Zensurregimen von Nordkorea, der DDR oder des Nationalsozialismus verglichen.

Diese vielschichtigen Aspekte – antifeministische Trolle unterschiedlicher Art, der Wunsch, eine konstruktive und machtsensible Diskussionskultur auf den Blogs zu schaffen, Zensurvorwürfe – machen die Moderationspolitik auf queer-/feministischen Blogs zu einem Thema, das von vielen als anstrengend und belastend empfunden wird und andere sogar ganz davon abhält, ihre Erfahrungen, ihr Wissen und ihre Meinungen in Form eines Blogs in die Öffentlichkeit zu stellen oder sich an Diskussionen unter Blog-Artikeln zu beteiligen. Insofern war es an der Zeit, einen Umgang mit diesen Kommentaren zu finden, die den Spieß umdreht und dem, was uns so nervt, ein Schnippchen dreht.

Das Projekt Hatr

Im Grunde ist Hatr einer dieser Internetpranger, vor denen in den Medien immer gewarnt wird. Er führt den immer gleichen Mist vor, der als Kommentar im Netz abgegeben wird. Da wir davon ausgehen, dass es die Kommentator_innen noch mehr ärgert, wenn niemand mehr sehen kann, um was es ihnen eigentlich ging, werden die Kommentare ohne den Rückbezug zum ursprünglichen Blog gepostet. Sofern sie auftauchen werden die Namen der Autor_innen der Blogposts durch den Namen “Xena” ersetzt. Die Namen der Kommentierenden werden allerdings nicht anoymisiert. Kenner_innen der maskulistischen Szene sind eingeladen, in unserem Archiv auf die Suche nach alten Bekannten zu gehen. Die Leser_innen von Hatr.org können besonders haarsträubende Kommentare mit “Facepalmen” versehen. Ein “Facepalm” ist eine deskriptive Bezeichnung für die Gestik, sich die Hand vor das Gesicht zu schlagen. Der “Facepalmenstrand” unter hatr.org/facepalms versammelt die Kommentare mit den meisten Facepalms. Weitere Interaktionsmöglichkeiten bietet die Seite nicht. Wir haben insbesondere darauf verzichtet, die Kommentare selbst kommentierbar zu machen und somit erläutern und herunterspielen zu können.

Blogs, die bei Hatr mitmachen, können die Kommentare direkt an Hatr schicken. Wir nutzen dazu unter anderem die technischen Schnittstellen der sehr verbreiteten Blogsoftware WordPress. Nach dem Installieren eines Plugins erscheint in der Moderationsoberfläche des Blogs ein Hatr-Button. Per Klick auf diesen Button landet ein Kommentar in der Moderationsschleife von Hatr, wo er vom Hatr-Team geprüft und freigeschaltet werden kann. Neben dem WordPress-Plugin gibt es noch andere Möglichkeiten, Kommentare bei Hatr abzuliefern. Wir wollen es den beteiligten Blogs so einfach wie möglich machen, den Kommentarmüll zu entsorgen.

Die Monetarisierungsstrategie von Hatr basiert zurzeit auf Google Ads, Anzeigen einer Seite für Geek-Spielzeug, einem Hatr-T-Shirt-Shop und einem Flattr-Button. Im Idealfall landen Leute, die nach sexistischen Begriffen suchen, bei uns und klicken auf die Werbeangebote. Da aber viele Menschen Adblocker benutzen, entgehen ihnen die tollen Angebote der Google Ads. Google wertet unter anderem die Inhalte der Seiten aus, um passende Anzeigen zu schalten, und so finden sich auf Hatr Angebote für einen Blick in die Zukunft mittels Kartenlegen, günstige Kredite und psychologische Beratung. Das Einbinden weiterer Bannerwerbung steht noch aus. Die AGBs einiger Anbieter schließen das Werben auf Seiten mit sexistischen, rassistischen oder anderweitig menschenverachtenden Inhalten explizit aus. Wir denken, dass Hatr damit nicht für sie in Frage kommt. Wir freuen uns darum über aktive Unterstützung durch den Kauf eines Hatr-Shirts oder mit Hilfe des Mikropaymentdienstes Flattr. Das gesammelte Geld wird nach einem Jahr oder sobald 500 Euro zusammen gekommen sind an ein emanzipatorisches Projekt gespendet, über dessen Auswahl wir zusammen mit der Hatr-Blog-Community entscheiden werden. Der Kern des Hatr-Teams besteht aus vier Personen, die das Konzept entwickelt und umgesetzt haben, die Kommentare auf der Seite freischalten, mit den beteiligten Blogs kommunizieren und Pressearbeit machen. Bei der technischen Umsetzung arbeiten wir mit Netzguerilla zusammen, einem Webhoster, der sich auf Lösungen für soziale Bewegungen spezialisiert hat.

Zum Start des Projektes haben wir etwa 20 Blogs angefragt, ob sie sich mit ihren Kommentaren an Hatr beteiligen wollen. Hauptsächlich angeschrieben haben wir queer-/feministische und antirassistische Blogs, deren Betreiber_innen wir bereits kannten und bei denen wir uns sicher waren, dass sie mit der gleichen Kommentarkultur zu kämpfen hatten wie wir selbst. Außerdem sollte die kleine Vorauswahl ein gewisses “Troll-Niveau” auf Hatr gewährleisten, welches die oben bereits skizzierte Kommentar-Typologie widerspiegelt. Weiterhin war es uns wichtig, Blogs gemäß unseres gesellschaftskritischen Selbstverständnisses auszuwählen, also denjenigen Blogger_innen ein Stück Handlungsmacht zurückzugeben, die aufgrund ihrer thematischen Perspektive nicht mit großer Aufmerksamkeit der Netzgemeinde rechnen können. Die meisten der zu Anfang Angeschriebenen freuten sich über das Angebot, so dass wir mit einer großen Anzahl von Kommentaren online gehen konnten.

Bei Hatr kann sich jedes Blog anmelden, das einen gesellschaftskritischen, wünschenswert (auch) antirassististischen, queer-/feministischen Anspruch hat oder sich mit der Typologie an nervigen Kommentaren aus verschiedenen Gründen konfrontiert sieht. Hatr versteht sich allerdings nicht als die allgemeine Trollsammelstelle des Internets. Mittlerweile haben fast 60 Blogs einen Zugang zu Hatr und beteiligen sich je nach Bloggröße und Textfrequenz mit einem bis fünfzehn Kommentaren im Monat am Projekt. Aktuell sind etwa 700 Kommentare freigeschaltet. Besonders gern wird die Seite von den Verfasser_innen der dort veröffentlichten Kommentare gelesen, aber auch ahnungslose Google-Besucher_innen, Feed-Abonnent_innen sowie regelmäßig vorbeischauende Hatr-Fans zählen zu den 2500 Leser_innen pro Monat. ((Laut Slimstat-Zugriffsstatistiken im Januar 2012))

Die Resonanz auf Hatr

Überrascht hat uns die große Resonanz, auf die das Projekt gestoßen ist: Taz, Deutsche Welle World, Der Standard, Spiegel Online und Bayerischer Rundfunk, u.a. berichteten im vergangenen Jahr über Hatr, so dass sich im Zuge der medialen Aufmerksamkeit mehr und mehr Blogs für Hatr registrieren wollten. ((Taz: Böse Trolle zu Geld machen; DW World; Jetzt.de: Argumentieren erzeugt immer nur mehr Hass; der Standard: Hatr als Sammelstelle für Troll-Postings gestartet; Spiegel Online: Schnaps und Schmerz für Nerds; Zündfunk Kolumne (depubliziert).)) Den Onlineredaktionen der Tages- und Wochenzeitungen ist bekannt, dass unzählige maskulistische Kommentaren gepostet werden, sobald Geschlechterverhältnisse, Elternschaft oder Rollenbilder thematisiert werden. Der Launch von Hatr war für sie ein Anlass, dies zu thematisieren. Auch diverse Blogs setzten sich mit dem neu ins Leben gerufenen Sammelbecken für diskriminierende und dominante Sprachkultur auseinander. Neben überwiegend positiven Reaktionen und Beifall versetzten die bereits veröffentlichten Inhalte viele in Unglauben. Offenbar nahmen sie das erste Mal Notiz davon, dass Menschen im Netz permanent sexistisch, rassistisch, homophob, u.a. beleidigt und bedroht werden.

Kritik bekam die Plattform für die Kontextlosigkeit der Kommentare und dem stark schwankenden Grad des Hasses. In den Augen der Kritiker_innen wären viele Kommentare der Publikation auf Hatr nicht würdig, sondern erweckten eher den Eindruck, Leser_innen queer-/feministischer Blogs seien der Willkür und Tagesform ihrer Betreiber_innen ausgesetzt. Die Selbstbeschreibung von Hatr als “Plattform, auf der Trollkommentare gesammelt werden”, hat sich insofern als irreführend erwiesen. Für den_die moderierende Blogbetreiber_in und das Hatr-Team ist die Motivation der Kommentator_innen nicht immer ersichtlich. Wenn in einem Kommentar jedoch bestimmte Stereotype und Diskriminierungen reproduziert werden, kann er auf Hatr landen. Unter Maskulisten verursachte Hatr größere Empörungswellen. Die gezielte Intransparenz der Webseite, auf der nicht ersichtlich ist, welche Menschen und Blogs beteiligt sind und woher die Kommentare stammen, sorgte für das Aufflammen alter Verschwörungstheorien über “die Feministen” (sic!) und “Genderwahnbeauftragten”, die im Internet ihren rigorosen Kampf gegen Meinungsfreiheit und Demokratie führen. Uns sind lange Abhandlungen über das Projekt in Foren bekannt, in denen darum gewetteifert wird, wer für sein Kommentar die meisten “Facepalms” bekommt.

Die Bandbreite der Reaktionen hat uns gezeigt, dass Hatr den Nerv ganz unterschiedlicher Menschen und Blogs getroffen hat. Betroffene dieser diskriminierenden wie hasserfüllten Diskussionskultur haben die Möglichkeit sich dieser Kommentare zu entledigen, ohne sie löschen zu müssen. Der Fokus auf die Dokumentation dominanzerhaltender Sprechakte in Verbindung mit Spendenmöglichkeiten für den guten Zweck soll in erster Linie für all jene empowernd wirken und zum Weiterbloggen und Diskussionseinstieg ermutigen, die sich aufgrund jener Kommunikationskultur bisher nicht beteiligen wollten oder konnten. Andere wiederum wünschen sich mehr Transparenz, Aufklärung und Bildung von Hatr. Die Seite soll selbsterklärender sein. Wir haben uns bewusst gegen ein Feminism-101-Portal entschieden, weil es davon hunderte im Netz gibt, die zwei Klicks von Google entfernt liegen. Wir möchten Menschen anregen, sich mit den Widersprüchen und Verwirrungsmomenten, die die Kommentare auf Hatr bei ihnen auslösen, selbstständig auseinander zu setzen. Wenn sie Interesse daran haben, sich mehr Wissen über herrschaftskritische Themengebiete anzueignen oder die Perspektive von Betroffenen nachzuvollziehen, soll Hatr der erste Anreiz sein. Mit der Forderung nach leicht konsumierbaren Bildungshäppchen in Sachen Herrschaftskritik geht meistens eine implizite Skepsis einher. Ganz so, als sei die Kritik an Diskriminierung und Dominanz nicht zutreffend oder überzogen, als ließen sich die meisten der kritisierten Dinge unter Meinungsfreiheit fassen oder mit einer anderen Perspektive anders bewerten, als wäre das Label *istische Kackscheiße zu hart. Oder tragen die Betreiber_innen der beteiligten Blogs gar ihren Teil zu den hasserfüllten Kommentaren bei? “Victim Blaming” (zu deutsch: opferbeschuldigendes Verhalten) gehört seit langer Zeit zum Instrumentenkoffer all jener, die dem Trugschluss aufsitzen, Diskriminierung sei individuell verhandelbar und nicht mit radikaler Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen zu begegnen, sondern mit Anpassung und dem Eingeständnis von Mitschuld. Diese Perspektive stellt weder die Machtfrage, noch ist sie darauf aus, Emanzipation zu wollen.

Wir entziehen uns dieser Deutungshoheit über den Umgang mit Diskriminierung, indem wir uns dem geforderten Bildungsauftrag verweigern. Hatr soll Maskus, Trolle und Sexist_innen als das markieren, was sie sind: Maskus, Trolle und Sexist_innen. Indem wir Betroffene, also die beteiligten Blogbetreiber_innen, über ihre Grenzen selbst entscheiden lassen, geben wir ihnen Definitionsmacht. Maskulismus, Sexismus, Antifeminismus und andere Formen der Dominanzausübung sind keine harmlosen Meinungen, sondern tiefsitzende reaktionäre Ideologien, denen nicht allein mit schlagkräftigen Gegenargumenten beizukommen ist. Wir möchten mit Hatr diesen Fehlschluss problematisieren und queer-/feministische Energie in Empowermentarbeit stecken.

Anmerkung: Der Blogpost wurden einige Links ergänzt, die im gedruckten Text fehlen. Außerdem wurden einige Fußnoten für schöneres HTML umformuliert.