Immer dieser Wille zum Wissen


Miriam erklärte vorgestern in einem Post bei Feministing, warum sie ein ungutes Gefühl hat, wenn es um wissenschaftliche Studien geht, die sich mit sexueller Differenz beschäftigen: Why I don’t like scientific studies about sexuality

Da neulich diese Forschungsergebnisse über homosexuelle und heterosexuelle Gehirne (sic!) durch die Presse gingen, laut denen die Gehirne von Schwulen denen von heterosexuellen Frauen ähneln, und die von Lesben denen von heterosexuellen Männern, fand ich es sehr schön, auf Miriams Text gestoßen zu sein:

Why do they bug me? Because the premise behind studying the why of sexual difference is unfair. When we decide to look for the cause of queer sexual orientations to me that says “here we have a problem. let’s find the root cause!” Queer sexualities are not a problem, or an abnormality, or a disease that we need to cure. […] Not all queer women are the same, nor are all queer men. Nor are all straight women, etc. These generalizations just serve to reinforce the categories that we already believe to be valid. […] I’m not saying we should ban these studies–obviously scientists will conduct whatever studies they want, but it would be great to see them covered in a more nuanced way that doesn’t fall into these traps.

Miriam schreibt, dass Forschungen dieser Art die Annahme zu Grunde zu liegen scheint, Homosexualität sei eine problematische, “abweichende” Erscheinungsform, die zumindest bei einer statistisch signifikanten Menge von Individuen das selbe bedeutet und sich körperlich manifestiert. Vermutlich geht das ganze völlig unschuldig von statten – oder erweckt zumindest den Anschein: Dem common sense entsprechend gehen auch Naturwissenschaftler_innen von der Annahme aus, Kategorien wie Homosexualität und Heterosexualität seien natürlich gegeben – und finden im Erfolgsfall genau das raus.

Lysis erklärte gerade in einem Kommentar bei den f*cking queers die konstruktivistische These, Sexualität sei nicht natürlich gegeben:

Die Sexualwissenschaft reklamiert für sich, die sexuelle Ordnung so zu zeigen, wie sie ist: Menschen teilen sich auf in eine überwältigende Mehrheit mit “normaler sexueller Veranlagung” und in eine kleine Minderheit mit einem “invertierten Sexualtrieb”. Tatsächlich aber wird diese Wirklichkeit durch die diskursiven Praktiken, die über sie verhängt sind, überhaupt erst als solche hergestellt. Die Wissenschaft bringt das hervor, von dem sie behauptet, es bloß zu repräsentieren.

Die hier beschriebene sexualwissenschaftliche Praxis ist ein Teil der vielfältigen Praxen, die unsere Wissensordnung bilden und uns glauben lassen, alle dieses komplizierte soziale Verhalten wäre eigentlich ganz einfach, natürlich, und schon immer so gewesen. Dabei ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass sich die Erscheinungsformen und die Wissensordnungen rund um Sexualität im Laufe der Zeit verändern. Jonathan Ned Katz hat das beispielsweise in “The Invention of Heterosexuality” für Heterosexualität gezeigt.

Um den letzten Aspekt in Miriams Text aufzugreifen: Es wäre wünschenswert, wenn Wissenschaftler_innen, aber auch (Wissenschafts-)Journalist_innen diese Aspekte in ihre Überlegungen mit einbeziehen würden. Es geht ja nicht darum, solche Forschungsvorhaben zu unterbinden, aber sie sollten differenzierter Vor- und Wahrgenommen werden. Florian Rötzers Text bei telepolis über die oben genannte Studie ist vom Ansatz her schon mal gut, denn Rötzer weist darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen Körper und sozialem Verhalten keine Einbahnstraße ist:

Allerdings müssen die Neurowissenschaftler einräumen, dass dies spekulativ ist, weil nicht bekannt ist, warum sich die Gehirne von Hetero- und Homosexuellen auf diese Weise unterscheiden und welche Ursachen dies hat. Gehirne können sich durchaus im Laufe des Lebens verändern, so dass auch diese Studie die umstrittene Frage, ob die sexuelle Orientierung von Homosexuellen erworben wurde oder ob sie genetisch bedingt ist, nicht beantwortet.

Jetzt noch eine Priese mehr Historisierung bitte, und weg von dem Glauben, Wissen verbessert und vermehrt sich einfach immer nur. Donna Haraway lesen hilft übrigens dabei.

3 comments

  1. lysis says:

    Super Beitrag! Wen das Ganze tiefergehend interessiert, sollte sich vielleicht mal dieses Buch besorgen: Reinventing the Male Homosexual: The Rhetoric and Power of the Gay Gene. Ich hab’s zwar selbst noch nicht gelesen, aber der Klappentext ist wirklich vielversprechend.

    Was Jonathan Katz angeht, gibt es auch ein neuereres Buch von ihm aus dem Jahr 2003, in dem er Liebe und Sex zwischen amerikanischen Männern des 19. Jahrhunderts anhand von Fotos, Briefen und Tagebucheinträgen beleuchtet und so auf einer ganz konkreten Ebene zeigt, welche fundamentalen Effekte die soziale Konstruktion von Sexualität auf die tatsächlichen Gefühle und Verhaltensweisen von Menschen hat: Love Stories. Sex Between Men Before Homosexuality.

    Besonders pikant für viele US-Amerikaner: die Intimität zwischen Abraham Lincoln, dem späteren Bürgerkriegspräsidenten, und seinem Jugendfreund Joshua Fry Speed … ;)

    “He often kisses me when I tease him, often to shut me up. He would grab me up by his long arms and hug and hug,” Speed reportedly wrote. Addressing his dear friend as “Linc,” Speed allegedly described the young politician as a man who couldn’t get enough hugging and kissing: “Yes, our Abe is like a school girl.”

Comments are closed.