Ist Filesharing politisch?

Interessante Debatte gerade auf Zeit.de: In mehreren Gastbeiträgen von Sandro Gaycken, dem Chaos Computer Club und Christian Sommer von der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen geht es um die Bewertung des Tauschens von urheberrechtlich geschützten immateriellen Gütern.

Der Wahrnehmung eines tiefgreifenden kulturellen, technologischen und ökonomischen Wandels, in dessen Folge Inhalte auf eine effizientere und demokratischere Art verteilt werden können auf der Seite des CCCs steht die Einschätzung von Sommer gegenüber, wonach der “egoistische Akt des illegalen Downloadens (…) durch einen pseudo-politischen Überbau gesellschaftlich gerechtfertigt” und letztlich durch technische Maßnahmen wie feste IP-Adressen im Sinne von Autokennzeichen auf der Datenautobahn eingedämmt werden wird. Der Technikphilosoph Gaycken warnt schließlich vor machtvollen Subjektivierungsprozessen der Überwachung von Internettätigkeiten und fordert, obschon er illegalem Filesharing keinen politischen Wert zuschreibt, eine grundsätzliche Abwägung der Verhältnismäßigkeiten:

Die Forderungen der Medienindustrie bedrohen die politischen Fundamente der Informationsdemokratien. Diese Bedrohung scheint unabwendbar. Die Kopplung von verbindlicher Strafverfolgung und konsequenter Überwachung ist nicht auflösbar. Das macht dringend eine gründliche Evaluation der Klagen der Branche nötig. Verhältnismäßigkeitsüberlegungen müssen angestellt werden. Die entscheidende Frage lautet: Sind die Verluste der Musik- und Filmindustrie so gravierend, dass sie vielschichtige und sensible Einschränkungen der Informationsfreiheit von immerhin knapp einer Milliarde Menschen in den ACTA-Staaten rechtfertigen?

Eine weitere Perspektive auf dieses Thema ist die Frage, wie im Alltag und in neuen Öffentlichkeiten auf Sozialen Netzwerken, auf Twitter, in Blogs oder Podcasts über diese Alltagspraxis gesprochen wird. Gerne wird ja in Gesprächen über Problemen aus der Welt der Tracker und Torrents mit einem Augenzwinkern festgestellt, dass man das selbstverständlich nur für die aktuelle Linuxdistribution und Creative Commons Musiksammlung nutzt. Andere sprechen ganz offen darüber, dass sie sich den ganzen Kram aus dem Netz ziehen und seit Jahren nicht mehr im Kino waren. Wieder andere schweigen zu dem Thema, machen es aber mit ungutem Gefühl trotzdem – oder beruhigen sich selbst mit dem weder technisch noch rechtlich stimmigen Argument, dass sie die neusten Serien gar nicht runterzuladen, sondern nur zu streamen. Der Unterhaltungsindustrie ist es mit ihren Kampagnen in den letzten Jahren vielleicht nicht gelungen, eine breite Masse davon abzuhalten, unterschiedliche Möglichkeiten – ob P2P mit Torrents, Speicherseiten wie Rapidshare oder Streaming – zu nutzen, um schnell und kostenfrei an die gewünschten Inhalte zu kommen. Das Reden darüber scheint aber erstmal leiser geworden zu sein.

Wir befinden uns gerade mitten im politisch-diskursiven Kampf um die Deutungshoheit über die “Wahrheit” einer technikkulturellen Alltagspraxis. Was in einigen Jahren rückblickend über die Zeit, in der Filesharing relativ neu war, gesagt werden wird, ist offen.

5 comments

  1. Michael says:

    Vielleicht trügt mein Eindruck, aber in der Beleuchtung der sozialen Aspekte wird ein wenig der Eindruck erweckt, dass Filesharing und illegales Herunterladen untrennbar verbunden sind.

    Es gibt jedoch tatsächlich viele Nutzer, die über BitTorrent ausschliesslich legale Downloads durchführen. Ich finde es schade, dass die Formulierung hier ein wenig den Eindruck erweckt, viele dieser Nutzer würden die legale Nutzung lediglich vorgeben.

  2. ?Tekknoatze says:

    Sommer hat am Anfang durchaus Recht, Filesharing ist nicht per se politisch. Es wird eben gemacht, weil es möglich ist.
    Und damit ist das was die Piratenpartei macht tatsählich Instrumentalisierung. Nur löst er das mit seinem Nummernschild Vergleich und damit schlußendlich doch der Forderung an die staatliche Autorität auf. Und zwar in die falsche Richtung.
    Was die GVU und die Musikindustrie (die ich btw nicht irgendwo an den Grundfesten der Demokratie mit Äxten rumhacksen sehe) nicht einsehen wollen ist, dass überhaupt kein Schaden entsteht wenn ich irgendwo was runterlade, weil es im Großteil der Fälle eh nicht gekauft werden würde. Die, die Sachen kaufen tun das auch so. Aber ganz ehrlich: David Hasselhoff Diskographie runterladen? Aber sicher. Kaufen? Niemals.
    Die Indsutrie rechnet dann aber trotzdem für jedes Lied einen wirtschaftlichen Schaden herbei, aber hey, wenn jedes Lied gekauft werden würde an dem irgendein Interesse besteht, und das hätte dann ja auch in der Vergangenheit passieren müssen, wäre die Musikindustrie meine erste Berufswahl. Ist aber nicht so, und war eben auch nie so.
    Filesharing hat aber ein subersives Potential. Eben weil davon Bewusstseinsbildungsprozesse gegen das Privateigentum entstehen können. Dem Potential wird man aber nicht gerecht wenn man da irgendwelche Industrien zu Baumfällern der Demokratie machen, ist doch diese Demokratie gerade eben installiert worden um das Privateigentum zu schützen. Wer damit ein Problem hat sollte sich an die Kritik der Demokratie machen und nicht das fadenscheinige Verteidigen von ihr an Hand irgendwelcher x-beliebiger Ideale, die man noch mit sich rumschleppt.

  3. ihdl says:

    @Michael: Stimmt, das ist vielleicht etwas missverständlich ausgedrückt. Natürlich wird Filesharing auch für legale Aktionen eingesetzt (in mindestens einem der verlinkten Texte wird ja auch darauf eingegangen). Ich kenne das eben von Leuten, die sich in der Öffentlichkeit äußern (zB in Podcasts), dass nach einer Erzählung, die was mit Filesharing zu tun hat, ein “selbstverständlich nutze ich das nur für Linuxdistribution” mit einem hörbaren Augenzwinkern nachgeschoben wird.

    @?Tekknoatze Ich finde ja das Verteidigen von demokratischen Rechten durchaus legitim und auch politisch in dem Zusammenhang. Ich würde da Gaycken zustimmen und sagen, dass die Contentindustrie bei der Abwägung ihrer Interessen gegen die Interessen einer demokratischen Gesellschaft daneben liegt, und dem muss politisch Einhalt geboten werden. Das steht für mich auch nicht im Widerspruch zu einem Überdenken von Privateigentum, aber da haben wir wohl ne andere Gesellschaftsanalyse.

  4. ?Tekknoatze says:

    Naja, konstituierendes Moment dieser Demokratie ist nunmal der Schutz des Privateigentums. Die Musik, die da runtergeladen wird ist eben Eigentum der Label/Künstler_innen, damit ist das alles andere als undemokratisch, nein sogar höchst demokratisch, wenn die auf ihrem Eigentum bestehen und das auch gegen eine Mehrheit der Leute durchboxen. Damit ist ja gar nichts gegen das Interesse der Mehrheit gesagt, das Interesse teile ich auch, nur ist die Kritik am Vorgehen der Rechteinhaber_innen als undemokratisch falsch. Wie gesagt, zumindest wenn man sich die Demokratie angeuckt wie sie gerade ist und welche Zwecke sie hat und nicht unter dem Standpunkt, wie sie zu sein habe und welche Zwecke sie eigentlich verfolgen solle.

    Gruß,
    ?

  5. Rasmus says:

    I don’t think the question “Is filesharing political” is any interesting at all. Sandro Gaycken is arguing well, but Christian Sommer tries to re-frame the whole thing as purely a question of individuals’ subjective intentions, when we should rather ask about for the political concerns which the war against file-sharing should raise.

    Sorry for commenting in English, but my German writing is not too fluent.

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