BewohnerInnen Altonas haben einen Offenen Brief an den IKEA-Gründer Ingvar Kamprad geschrieben. Darin formulieren sie sehr anschaulich, worin das Problem der politischen Definitionsmacht einer lebenswerten Stadt liegt, über das hier im Blog auch schon diskutiert wurde.
Zunächst mal ein Rat: Glaub unseren Politikern kein Wort! Diese Menschen haben eine gestörte Wahrnehmung von der Wirklichkeit in unserem Viertel. Sie halten das Frappant-Gebäude, das du für dein Möbelhaus abreißen möchtest, für einen „Schandfleck“. Das stimmt aber nicht. Im Frappant arbeiten über hundert Künstler, Theaterleute und Musiker. Wir haben dort in den letzten Jahre großartige Parties gefeiert und jede Menge spitzenmäßige Konzerte und Ausstellungen gesehen, mit kaum Geld und viel Einsatz aus dem Boden gestampft. Das ist unseren Politikern aber nicht nur herzlich egal, sie machen den angeblichen „Schandfleck“ auch noch dafür verantwortlich, dass die angrenzende Fußgängerzone „unattraktiv“ sei. Schon vor Jahren haben sie per Expertise feststellen lassen, dass es ihr an „Aufenthaltsqualität“ fehle, dass sie „unbelebt und ungastlich“ sei. Sie behaupten dort, dass unsere Flaniermeile „nicht mehr die Funktion eines Bezirkszentrums sowie eines wichtigen Zentrums für das öffentliche, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben einnimmt.“ Wie gesagt, Ingvar, glaub ihnen kein Wort! Setz dich an einem beliebigen Sommernachmittag ins Eiscafé Filippi oder vor Dat Backhus und du wirst mit eigenen Augen feststellen: Jede x-beliebige deutsche Kleinstadt würde sich die Finger lecken nach so viel Leben. Jede Menge Leute sind hier unterwegs, Normalos und Freaks mit und ohne Kopftuch, Punk und Alkis mit und ohne Hunden, Opis und Omis, Kinder und Jugendliche.
Tatsächlich meinen unsere Politiker auch garnicht „Leben“. Was sie meinen, steht in ihrer Expertise: „Der Funktionsverlust – insbesondere der Großen Bergstraße – manifestiert sich in einer anhaltend sinkenden Kaufkraftbindung.“ Klingt kompliziert, ist aber eine ganz einfache Logik: Es kann noch so viel auf der Straße los sein – wenn nicht genug verkauft wird, behaupten sie, es gäbe dort kein „Leben“. Lächerlich, nicht wahr? Aber so geht eben die Standortlogik neoliberaler Politik: Nur wo ordentlich abgemolken wird, ist es schön. Alles andere ist hässlich.
Der vollständigen Protestbrief gegen den geplanten Bau einer IKEA-Filiale in der Großen Bergstraße kann auf www.wirsindwoanders.de gelesen und unterzeichnet werden (via Gentrification Blog).