Queering Gentrification

Dieser Text ist erschienen in [sic!] Forum für feministische Gangarten Nr. 64, S. 32-33 unter dem Titel “Gibt es eine queere Ökonomiekritik?”

Seit geraumer Zeit finden vielfältige queer-theoretische Auseinandersetzungen mit Kapitalismus und Neoliberalismus statt, die nach den Zusammenhängen von Heteronormativität und sexuellen Politiken mit ökonomischen Verhältnissen und Arbeit fragen. Für eine queere Ökonomiekritik stellt sich immer wieder die Frage, inwiefern queere Politiken in neoliberale Diskurse eingebunden sind. Neoliberale politische Strategien der Ökonomisierung des Sozialen rufen Subjekte als eigenverantwortliche und freie Unternehmer_innen ihrer Selbst an. Paradoxerweise sind neoliberale Verhältnisse damit nicht nur durch den Abbau sozialer Gerechtigkeit und die Einschränkung demokratischer Teilhabe gekennzeichnet, sondern auch durch die Anerkennung von Differenzen, wie beispielsweise Lebensformen, die heteronormativen Vorstellungen nicht entsprechen. Kann diese Ambiguität als Ressource widerständiger Praxen genutzt werden, wie Antke Engel (2009) es fordert, und welche Vorstellung des Kapitalismus ermöglicht es, Widerstand zu denken?

Herkömmlicherweise wird Kapitalismus als Entität verstanden, die gesellschaftliche Verhältnisse umfassend strukturiert, und von der andere Herrschafts- und Machtverhältnisse als ideologische Produkte abgeleitet werden können. Die Intersektionalitätsdebatte (vgl. Winker/Degele 2009) hat jedoch jüngst noch einmal unterstrichen, dass gesellschaftliche Strukturkategorien wie Geschlecht und „Rasse“ nicht als Nebenwidersprüche des Klassenverhältnisses verhandelt werden können. Gesellschaftliche Machtverhältnisse und Identitätskategorien treten niemals allein auf, sondern sind miteinander verwoben, und nicht nur Diskriminierungs- und Ausgrenzungspraxen, sondern auch Privilegien müssen vor dem Hintergrund eines komplexen Verständnisses von gesellschaftlichen Machtverhältnissen untersucht werden. Mithilfe einer Ökonomiekritik, die ich als dekonstruktivistisch bezeichne, kann darüber hinaus gezeigt werden, dass das herkömmliche Verständnis von Kapitalismus ein machtvoller Diskurs ist, der die Vielgestaltigkeit ökonomischer Praxen innerhalb und neben kapitalistisch organisierter Produktion unsichtbar macht. Sowohl in hegemonialen als auch in kapitalismuskritischen Repräsentationen wird Kapitalismus als übermächtiges und unaufhaltsames Monster konstruiert: Kapitalismus ist der Masterterm, von dem aus Zentrum und Peripherie, was Produktion und Reproduktion unterschieden werden; er ist die bestimmende Kraft hinter gesellschaftlichen Entwicklungen. Alltagspraxen, die Herrschaftsverhältnisse bereits durchqueren, werden innerhalb dieses Diskurses nicht wahrgenommen. Ökonomische Identitäten wirken fixiert, kohärent und determiniert, und Möglichkeiten sozialer Transformation bleiben unerkannt. J.K. Gibson-Graham (2006) kritisieren, dass Kapitalismus nach wie vor als akkurate Repräsentation der Realität verstanden wird, und nicht als „regulatorische Fiktion“, wie es beispielsweise Judith Butler (1991) für Geschlechtsidentität vorschlägt. Hier schließt sich die Frage an, wie lokale Politiken aussehen könnten, die solche Identitäten auf eine verantwortungsvolle Weise durchqueren. Ist es möglich, Praxen zu entwerfen, die nicht nur die Differenzkategorien Geschlecht, Sexualität und „Rasse“ in Form von Diversity Management sichtbar und produktiv machen, sondern die als Politik der ökonomischen Differenz auch die Kohärenz kapitalistischer Hegemonie angreifen? Und wie können solche Alltagspraxen über Nischen, die zum Teil nur aufgrund von Privilegien funktionieren, hinaus wirksam werden? Wie können das eigene Eingebundensein in ökonomische Verhältnisse und ungleicher Besitz von Produktionsmitteln, Konsummöglichkeiten und sozialem Kapital eingesetzt werden, um Machtverhältnisse durch individuelle und kollektive Alltagspraxen herauszufordern?

Anhand eines Beispiels möchte ich die Handlungsfähigkeit von Subjekten innerhalb gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse aus queerer und kapitalismuskritischer Perspektive befragen. „Reflections of a Homownersexual. Buying and Selling a House with Anti-Capitalist Intentions“ ist ein Text von Emily Nepon (2008), der auf dem Weblog „Enough. The personal politics of resisting capitalism“ veröffentlicht wurde. Die Autor_in stellt darin ihre Erfahrungen mit einer politisch-ökonomischen Praxis zur Diskussion, die sie in einem durch Rassismus, Klassenverhältnisse und Gentrifizierung geprägten Setting gemacht hat. Nepon, die sich als queer und weiß positioniert, und ihre Freund_in lebten in einer verbindlichen, nicht-monogamen Partnerschaft, als sie sich 2001 zum Kauf des Hauses in einem Schwarzen working-poor Viertel in Philadelphia entschlossen. Sie brachten den Kaufpreis mit Hilfe eines Darlehens auf, das sie von den Großeltern der Partner_in bekamen, und lebten für insgesamt fünf Jahre zusammen mit verschiedenen Mitbewohner_innen in diesem Haus. Es sollte ein sicherer Rückzugsraum für die queere Community sein, ein Haus, in dem auch mal Freund_innen unterkommen können, ohne dass sie das Geld für die nächste Monatsmiete auftreiben müssen. Nepons Text artikuliert ihr damaliges Begehren nach community building und Zusammenleben. Doch was bedeutet es, Besitzer_in eines Hauses und Vermieter_in von Wohnraum zu sein? Wenn ich an Vermieter_innen denke, habe ich eine Person oder Gesellschaft vor Augen, die auf dem Markt Wohnraum gegen Miete zu einem möglichst guten Preis tauscht. Die Identitäten der beiden Vermieter_innen erscheinen jedoch nicht determiniert: Die Mitbewohner_innen und Besitzer_innen zahlten monatlich zusammen 625 Dollar Miete. Sowohl die Mietzahlungen als auch Arbeit am Haus wurden als Investitionen in das Haus anerkannt. Alle Bewohner_innen beteiligten sich und Arbeiten, die nicht selbst übernommen werden konnten, wurden von Freund_innen erledigt, die dafür bezahlt wurden. Diese Entscheidung gegen unbezahlte Arbeit ist gerade in politischen Projekten keine Selbstverständlichkeit. Finanzielle Angelegenheiten wie Rechnungen und das Darlehen wurden gemeinsam besprochen und transparent behandelt. Besonders überraschend erscheint, dass für die beiden Eigentümer_innen die Idee der Investition durch das zusammen Leben und Arbeiten im und am Haus auch nach dem Verkauf des Hauses Gültigkeit hatte: Ein Teil des Verkaufserlöses wurde gespendet, und der größere Teil zwischen den sieben Leuten, die länger im Haus gewohnt hatten, entsprechend ihrer „Investitionen“ aufgeteilt. Ohne dass es explizit vereinbart gewesen war, erhielten die Sieben einen Großteil ihrer einst gezahlten Miete zurück.

Ist ein „antikapitalistisches“ Zusammenleben möglich, wenn der Wohnraum nicht allen gehört?Nepon macht sichtbar, dass bürgerliche Eigentumsverhältnisse ihr Handeln nicht festgeschrieben haben. Wenn Individuen die ihnen identitär vorgegebenen Plätze nicht auf machtunkritische Art einnehmen, können sich also auch in ökonomischen Zusammenhängen Handlungsspielräume für eine Politik der Entprivilegisierung ergeben. Ein Verständnis von Kapitalismus und Ökonomie, das nicht der Erzählung des übermächtigen, monolithischen Kapitalismus‘ folgt, sondern ökonomische Differenz denken kann, verstärkt das Begehren nach anderen Formen des Zusammenarbeitens und Zusammenwirtschaftens. Doch wirkt sich diese Vision eines anderen, besseren Lebens in der selbsterschaffenen Nische auch auf die Welt da draußen aus? Nepons Begehren nach community building verbindet sich mit einer Verantwortung gegenüber eigenen Privilegien als weiße Hausbesitzer_innen in einem bisher Schwarz geprägten Viertel, das sich in einem Gentrifizierungsprozess befand. Sie beschreibt das Verhältnis des Hausprojektes mit der Nachbarschaft als schwierig. Auch wenn zu manchen Nachbar_innen ein gutes, vertrauensvolles Verhältnis aufgebaut werden konnte, blieb für die queeren „Eindringlinge“ in die zu 99 Prozent aus working-poor Afroamerikaner_innen bestehende Gegend ein unbehagliches Gefühl. Nepon führt dies jedoch nicht auf ihre queerness, sondern auf die unterschiedlichen intersektionalen Positionierungen entlang Klasse und „Rasse“ zurück.

Infolge dramatischer Veränderungen in den Beziehungen der Bewohner_innen des Hausprojektes beschlossen die Besitzer_innen nach fünf Jahren, das Projekt aufzulösen und das Haus zu verkaufen. Im Zuge dessen wurden sie vor eine Reihe herausfordernder Entscheidungen gestellt, die Momente der politischen Handlungsfähigkeit innerhalb dieses durch strukturelle Herrschaftsverhältnisse geprägten Rahmens eröffneten. Es war abgemacht weder mit Profit, noch an eine Entwicklungsgesellschaft zu verkaufen. Aus diesem Grund hatten sie in Betracht gezogen, das Haus direkt einer politischen Organisation zur Verfügung zu stellen. Da einige Zeit zuvor jedoch Freund_innen wegen politischer Aktivitäten inhaftiert worden waren, entstand der Wunsch, das Haus doch zu verkaufen, um den Erlös in solchen Fällen für Kautionen und Anwaltskosten zur Verfügung zu haben. Auf den Wunsch, die Gentrifizierung durch das eigene Handeln nicht zu verstärken, sondern im Gegenteil die Kämpfe der lokalen Community zu unterstützen, reagierte das weiße Umfeld der Hausbesitzer_innen mit Verständnislosigkeit. Es sei doch verrückt, das Haus jetzt für so wenig Geld zu verkaufen, wo doch bald schon mit einem viel besseren Preis zu rechnen sei. Die einzige weiße Familie in der Nachbarschaft, die damals das Haus an Nepon und ihre Partner_in vermittelt hatte, fand potentielle Käufer_innen, die ein sehr gutes Angebot machten. Es kam jedoch für die beiden Eigentümer_innen nicht in Frage, das Haus innerhalb der eigenen (weißen) Subkultur zu verkaufen, und sie lehnten das Angebot ab. Es war ihr Ziel, das Haus an afroamerikanische Leute zu verkaufen, die in der Community engagiert sind, und über genug Einkommen verfügen, so dass sie das Haus nicht an die Bank, und damit an eine Entwicklungsgesellschaft verlieren würden. Die Käufer_innen wurden über eine Organisation afroamerikanischer anti-gentrifikation Aktivist_innen in der Nachbarschaft gefunden. In den Verkaufsprozess wurden weder Immobilienfirma noch Markler_in eingeschaltet, und die Anwält_in, die den Papierkram erledigte, war ebenfalls von dem anti-gentrifikation Netzwerk empfohlen worden. Das Haus wurde weit unter Markpreis verkauft. Ein Teil des Verkaufserlös wurde anonym an verschiedene in der Community engagierte Projekte gespendet, die mit Unterstützung einer anti-gentrifikation Aktivistin ausgewählt worden waren. Statt den „einfachen“ und profitablen Weg zu gehen, entschieden sich die Bewohner_innen dafür, auf verschiedenen Ebenen das Wissen der Schwarzen Community in den Verkaufsprozess einzubeziehen und damit nicht nur Geld, sondern auch Entscheidungsmacht umzuverteilen.

Queere Ökonomiekritik muss auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen, vielfältige Forderungen entwickeln und dabei stets machtkritisch bleiben. Wichtig erscheint mir, die auf den ersten Blick nicht primär ökonomischen Praxen auf ihre ökonomischen Komponenten hin zu befragen. Die Geschichte des queeren Hausprojektes in Philadelphia zeigt, dass sich politische Handlungsfähigkeit und Spielräume für Politiken der Enthierarchisierung und Entpriviligisierung auch in Kontexten ergeben können, die durch Eigentumsverhältnisse und ökonomische Prozesse geprägt sind. Solchen Praxen sehen sich oft der Kritik ausgesetzt, nicht grundsätzlich an den bürgerlichen Eigentumsverhältnissen gerüttelt, identitäre Konstruktionen nicht vollständig aufgelöst und damit das System bestärkt zu haben. Doch was ist die Alternative? Nepon stellt ihrem Text eine Praxis zur Diskussion, die nicht als Blaupause für „ethisch korrektes“ Handeln dienen soll, wie es in Diskursen um nachhaltigen Konsum oft geschieht. Strategien und temporäre Bündnisse müssen im Kontext der jeweiligen Machtverhältnisse entstehen. Es besteht die Gefahr des Scheiterns, und die getroffenen Entscheidungen werden nicht allen gefallen. Die Reflexion des unentrinnbaren Verwobenseins in zum Teil widersprüchliche Machtverhältnisse ermöglichte es jedoch, bemerkenswerte Strategien zu entwickeln, um in lokale Prozesse einzuwirken.

Butler, Judith 1991: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt.
Engel, Antke 2009: Bilder von Sexualität und Ökonomie, Bielefeld.
Gibson-Graham, J.K. 2006: The End of Capitalism (as we knew it), Minneapolis, London.
Nepon, Emily 2008: Reflections of a Homownersexual. Buying and Selling a House with Anti-Capitalist Intentions.
Winker, Gabriele/Degele, Nina 2009: Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld.

7 comments

  1. Joël says:

    Wow, interessanter Artikel und cooler Ansatz. Leider haben wohl die wenigsten, die Gentrification bekämpfen wollen, das Startkapital, um solche aktive Bekämpfung des Prozesses zu betreiben.
    Evtl. leicht OT: Ich hatte gestern eine Vorlesung in LAP (Landschaftsplanung – Studiere das nicht, genieße aber eine Einführungsvorlesung!), in der es auch teilweise um die Themen “Gendermainstreaming in der LAP” ging. Für mich war eine wichtige Schlussfolgerung, dass Landschaftsbilder (und Stadtbilder gehören dazu) immer Abbilder von Herschafts/Gesellschaftsverhältnissen sind.

  2. ihdl says:

    ich glaube, das mit dem startkapital erklärt sich auch aus dem us kontext. dort ist es ja sehr viel verbreiteter und normaler, sich geld zu leihen und dann im “eigenheim” zu leben. statt der miete werden dann eben raten bezahlt.
    es gibt aber auch in .de ansätze wie mietsyndikate oder ähnliches, die bei der finanzierung helfen, wenn gruppen zb häuser übernehmen und wohnprojekte daraus machen wollen.

  3. Joël says:

    Interessant. Mir fällt gerade auf, dass die nächste Ausgabe der Queesch über das Thema Wohnen/Leben geht. Leider ist sie natürlich schon im Druck, aber sobald sie draussen ist, verlinke ich den Artikel auf der Webseite nochmal, denn genau so ein Aspekt fehlt leider.

Comments are closed.