In der vergangenen Woche hat die Telekom angekündigt, aus den Flatrates nach und nach volumenbegrenzte Angebote zu machen. Ist die monatliche Volumengrenze erreicht wird die Geschwindigkeit gedrosselt. Es ist davon auszugehen, dass andere Anbieter nachziehen. Mit der Ankündigung der Telekom ist ein Szenario in greifbare Nähe gerückt, das die Art, wie wir mit dem Internet interagieren, stärker verändern könnte als alle anderen netzpolitischen Entscheidungen in den letzten Jahren. Hier kommen die großen netzpolitischen Linien: Netzneutralität, Teilhabe, Überwachung und die Interessen der Kreativ- und Verwertungsindustrie. In den nächsten Monaten wird es darum gehen, die Idee der Netzneutralität zu verbreiten.
Die Drossel in der Hand: Neue Wachstumsstrategien
Den Flatrates ist es u.a. zu verdanken, dass sich das Internet in den letzten zehn Jahren in weiten Teilen der Bevölkerung durchgesetzt und vielen Menschen ermöglicht hat, am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilzuhaben. Man konnte sich dem neuen Medium mit etwas Gelassenheit nähern, ohne sich um unerwartete Kosten sorgen zu müssen. Für die Telekom und andere Internet-Service-Provider (ISP) war das die richtige Strategie. Ihre Profite wurden in erster Linie über die Markterschließung erziehlt. Bei der Telekom kommen möglicherweise dazu noch Rationalisierungseffekte nach der Privatisierung.
Die Wachstumskurve bei den neuen DSL-Verträgen ist flach geworden. Einzig in den ländlichen Gegenden, zu denen der Breitbandausbau noch nicht vorgedrungen ist, ist noch etwas zu holen. Das Verhältnis zwischen Investion und zu erzieltem Gewinn dürfte in den Strategiemeetings der Telekom nicht zu Freudentänzen führen. Es müssen also neue Wege her, um weiterhin steigende Profite zu realisieren. Das angebliche Marketinggesetz, wonach man Kunden nichts wegnehmen darf (so Clemens Schrimpe bei Logbuch Netzpolitik) wird vom Gesetz des Wachstums locker in die Tasche gesteckt. Um das Marketing muss man sich keine Sorgen machen: Der Deal zwischen der Telekom und Spotify beim Mobilfunk hat gezeigt, dass das Ende der Netzneutralität in einer hübschen Verpackung daher kommt: Als ein gutes Angebot, wo man für kleines Geld etwas Tolles bekommt.
Die Drosselung der Geschwindigkeit ist nicht also das einzige Problem, was uns bevorsteht. Die ISP werden Angebote machen, die bestimmte Internetservices von der Volumengrenze ausnehmen. Dieser Verstoß gegen die Netzneutralität basiert auf der durch die Volumengrenzen geschaffenen Knappheit, für die es keine technische Notwendigkeit gibt. Statt es weiterhin zu ermöglichen, sich 500 GB im Monat per Bittorrent runterzuladen, bietet man einen Tarif an, der bei 75 GB gedrosselt wird, aber optional mit Medienpaketen kommt: Musik hören bei Spotify, Filme gucken bei Videoload. Damit stellen sich die ISP in Konkurrenz zu Apple und Amazon. Deren digitales Warenangebot kam bisher am besten an. Bei Apple sind die gekauften Songs schnell mit dem iPod/iPhone synchronisiert, während Amazon so schön praktisch ist, weil viele Kund_innen ihre Kreditkarte oder Bankverbindung dort bereits hinterlegt haben. Bezahlen per Telefonrechnung ist noch einfacher.
Das ist ziiiemlich kompliziert! Or is it?
Die Strategie der Telekom geht also mit den Interessen der Verwertungsindustrie Hand in Hand: Unter den beschriebenen Bedingungen müssen auch denjenigen, die bisher den moralischen Appellen und der Angst vor rechtlichen Konsequenzen getrotzt haben, zu den Angeboten wechseln, die die ISP machen. Das trifft auch diejenigen, die Youtube als Radio laufen haben, während sie Hausaufgaben machen. In Zugzwang bringt das die Unternehmen, die jetzt zwischen ISP und Verwertungsindustrie stehen. Internetunternehmen, die den Content zu den Nutzer_innen bringen, müssen schauen, dass sie in das Angebotsportfolio der ISP aufgenommen werden – zu deren Bedingungen. Würde Netflix mit günstigen Preisen und besserer Auswahl in den deutschen Markt einsteigen, wären Nutzer_innen schlecht beraten, dieses Angebot vorzuziehen, solange es von ihrem monatlichen Volumenkonto abgezogen wird.
Für die ISP ist es einfach, die bösen Filesharer als Trittbrettfahrer_innen zu blamen. Deren Handeln ist für viele nicht nachvollziehbar. “Warum können die eigentlich nicht Fernsehen gucken wie jeder normale Mensch auch? Außerdem: Wenn mein Nachbar dreimal so viel Wasser verbraucht wie ich, ist das doch auch fair, wenn der dann mehr zahlt.” Wer für Netzneutralität argumentiert sollte mit den Metaphern aufpassen. Zwar mag das Bild der tröpfelnden Leitung nach dem hundertsten Liter erstmal ganz plausibel wirken. Dass im Internet die Daten aber nicht weniger werden, wenn man sie nutzt, sondern mehr, ist den ISP klar, vielen Nutzer_innen aber nicht.
Es gibt viele Beispiele, die zeigen, was große Datenmengen auch für Nutzer_innen bedeuten, die annehmen, sie seien von der Geschichte gar nicht betroffen. Neulich erzählte mir mein Vater, dass er das Champions-League-Spiel der Bayern nicht sehen konnte, weil es nur auf Sky lief. Stattdessen hat er sich im Internet einen Radiokommentar per Stream angehört von drei jungen Kerlen, die das ganz witzig gemacht hätten. Das fand ich interessant, weil es seinem Selbstbild als jemand, der im Internet eh nur Zeitung liest und schaut, wie das Wetter wird, nicht entspricht. Er lässt sich sicher auch davon überzeugen, dass es sinnvoll ist, auch am 29. des Monats noch Sicherheitsupdates runterladen zu können, Backups in der Cloud zu speichern oder zur Weiterbildung Vorlesungen und Sprachlernpodcasts runterzuladen.
Die meisten Nutzer_innen werden sich vorstellen können, dass ihr monatlich benötigtes Volumen in den nächsten Jahren eher steigen als sinken wird. Dass die neue Regelung große Nachteile für weniger zahlungskräftige Kund_innen und Leute, die sich zusammen einen Internetanschluss teilen (Familien, WGs usw.) mit sich bringt und außerdem unfair gegenüber Leuten ist, die auf dem Land wohnen (die Telekom plant, das Volumen abhängig von der Zugangsgeschwindigkeit zu machen, so dass langsamere Anschlüsse auch noch weniger laden dürfen) ist offensichtlich unfair.
Die Taube auf dem Dach: Netzneutralität erkämpfen
Ich halte das Gerede, dass Netzneutralität schwer vermittelbar sei, für eine selbsterfüllende Prophezeiung. Dass es einige technische Unklarheiten gibt, ist kein Problem. Schließlich ist es in jedem Politikbereich so, dass Expert_innen Komplexitäten sehen, die in den öffentlichen Debatten in den Hintergrund rücken. Dass der Begriff Netzneutralität etwas unscharf ist, macht sein politisches Potential gerade aus, denn so lassen sich verschiedene Anliegen unter einer Forderung zusammenbinden.
Gegenüber den Nutzer_innen sollten wir darum mit der Trafficdrosselung und den zahlreichen Nachteilen, die das auch für gesetzestreue, brave User mit sich bringt, argumentieren. Gegenüber der Politik müssen die wettbewerbsrechtlichen Aspekte stark gemacht werden. Dabei würde ich allerdings die Hoffnungen nicht zu hoch hängen, dass die Regierungsparteien sich auf gute Argumente einlassen. Union, FDP und SPD haben in den letzteren Jahren schon absurdere Netzpolitiken abgenickt – siehe Leistungsschutzrecht. Dazu kommt: Wenn es keine echten Flatrates mehr gibt, kann man das Argument, eine genaue Aufzeichnung des Surfverhaltens wäre zu Abrechnungszwecken nicht notwendig, nicht mehr bringen. Dass das Vorhaben der Telekom auch überwachungsfreudigen Innenpolitiker_innen entgegen kommt, kann René Obermann bei seinen anstehenden Gesprächen sicher gut anbringen.
Das Mobilisierungspotential ist nicht schlecht: Verbraucher_innen lassen sich von Verbraucher_innenunfreundlichkeit überzeugen. Aber ob das genügen wird? Viele gesellschaftliche Akteure stehen ideologisch hinter den Interessen der ISP. Und das ist eben nicht die Versorgung der Bevölkerung mit Internet und die Ermöglichung von gesellschaftlicher Teilhabe, sondern steigender Profit. Wir sehen ja jeden Tag, dass sich die doppelt freien Marktsubjekte fügen müssen, weil sie eben nicht “erfolgreich” genug sind. Sie können sich das gute Leben nicht leisten. Wenn Netzneutralität nicht durchgesetzt wird, kommt das beim Internet genau so. Also: Her mit dem echten Netz!