Category: Oekonomie

Momentum Kongress – Call for Abstracts

Der Kongress Momentum findet im Jahr 2018 zum elften Mal statt. Nach Gerechtigkeit, Freiheit, Solidarität, Gleichheit, Demokratie, Fortschritt, Emanzipation, Kritik, Macht, Vielfalt bildet dieses Jahr „Klasse“ das Generalthema. Folgende zehn Tracks bilden das Gerüst des Kongresses:

Track #1: Klasse – Schicht – Milieu
Track #2: Interessen organisieren: Strategien und Konfrontationen
Track #3: Wir und die Anderen: Klasse und Identität
Track #4: Hegemonie und Öffentlichkeit im digitalen Zeitalter
Track #5: Recht haben, Recht bekommen, Recht gestalten
Track #6: Bildung: erben, aufsteigen, herrschen?
Track #7: Die Verteilungsfrage in der Klassengesellschaft
Track #8: Dimensionen der Ungleichheit
Track #9: Wohlfahrt und Daseinsvorsorge im Spiegel der Klassenverhältnisse
Track #10: Ökologie und die soziale Frage

Besonders hinweisen möchte ich auf Track #4, den Anna-Katharina Meßmer und ich gemeinsam moderieren werden

Hegemonie und Öffentlichkeit im digitalen Zeitalter

  • Welche neuen und alten Fronten zwischen Klassen finden sich im Netz wieder?
  • Wie prägen Plattformen und Algorithmen digitales Verhalten im Allgemeinen und politische Prozesse im Speziellen?
  • Was sind Inklusionschancen und Exklusionsgefahren eines digitalen Klassenkampfes?

Momentum richtet sich an WissenschafterInnen, GewerkschafterInnen, Fachleute und Studierende aller Forschungs- und Politikbereiche sowie an Interessierte und AktivistInnen aus der Praxis. Voraussetzung für die Teilnahme bei Momentum ist die Einreichung eines kurzen Abstracts zur Bewerbung sowie – nach Zulassung zum Kongress – eines schriftlichen Beitrages („Paper“). Eingereicht werden können Forschungspapiere, Praxisberichte und Policy-Papiere.

Der Call for Abstracts geht bis zum 12. April 2018.

Der Kongress findet vom 18. bis 21. Oktober 2018 im Österreichische Hallstatt statt – oben auf dem Foto zu sehen und wahrscheinlich allein schon ein guter Grund, sich zu bewerben. Wer darüber nachdenkt, findet alle weiteren Informationen auf der Website.

Pflegestreik im Krankenhaus

Die Zeit berichtet über einen anstehenden bundesweiten Pflegestreik in Krankenhäusern. Das Interessante daran: Es geht nicht in erster Linie um einen höheren Tarifabschluss, sondern um mehr Personal. Das heißt auch: Das Thema geht uns alle an. Jede_r kommt mal ins Krankenhaus oder hat Familie und Freund_innen im Krankenhaus, die gut versorgt werden sollen. Das geht nicht, wenn dort zu wenig Leute arbeiten.

Wenn sich die Pfleger_innen für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen, ist das nicht nur ein Moment, in dem Solidarität von ‘außen’ angebracht ist. Es ist ihrerseits ein Akt der Solidarität.

Das kleine digitale und das große Ganze:
Die re:publica für zu Hause

Das Internet heizt sozialen Wandel an, ermöglicht neue soziale Bewegungen und ist damit auch eine Bedrohung für die herrschende Ordnung. Während Staaten, Sicherheitsapparate und Kapital immer konzentrierter versuchen, gesellschaftlichen Veränderungsdruck durch die Regulierung des Internets in den Griff zu bekommen, sind die sozialen Bewegungen gefordert, den Kampf um das offene Internet gemeinsam zu gewinnen.

Das war die These im Abstract zu der Diskussion über “Das kleine Digitale und das große Ganze” auf der diesjährigen re:publica, die Anne Roth (@annalist), Hans Christian Voigt und ich am Dienstag bestritten haben – ohne dabei jedoch vordergründig kontrovers zu sein.


Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 Germany (CC BY-SA 3.0 DE)

Ich glaube aber, die Kontroverse steckt bei diesem Thema im Detail. Was heißt es eigentlich, im Rahmen der re:publica – und damit unter dem Banner von Sponsoren wie Daimler und Comdirect – darüber nachzudenken, was die politische Regulierung des Internets mit sozialen Kämpfen zu tun hat? Was heißt es, die keine Hoffnung in die Reformfähigkeit von Institutionen zu haben, sich also nicht auf change management zu verlassen? Was heißt es weiterzukämpfen unter den Bedingungen neoliberaler Kontrollregime? Was heißt es, die Apathie zu überwinden?

Es gab von unserer Seite aus keine knackige Lösung oder den ultimativen Aufruf zum Handeln. Die vielen Diskussionsbeiträge (im Vortrag ab Minute 38) aus dem Publikum zeigten mir aber, dass die angesprochenen Fragen viele umtreibt und die meisten re:publica-Besucher_innen das Netz nicht als Selbstzweck sehen.

Bei Anne gibt’s noch die von HC auf Storify gesammelten Reaktionen auf den Vortrag zu lesen. Falls ihr Lust auf mehr re:publica habt: Michael Kreil hat eine übersichtliche Visualisierung aller vorhandenen Mitschnitte gebaut.

Für den Gewinn: Warum die Telekom drosseln will und was dagegen einzuwenden ist

In der vergangenen Woche hat die Telekom angekündigt, aus den Flatrates nach und nach volumenbegrenzte Angebote zu machen. Ist die monatliche Volumengrenze erreicht wird die Geschwindigkeit gedrosselt. Es ist davon auszugehen, dass andere Anbieter nachziehen. Mit der Ankündigung der Telekom ist ein Szenario in greifbare Nähe gerückt, das die Art, wie wir mit dem Internet interagieren, stärker verändern könnte als alle anderen netzpolitischen Entscheidungen in den letzten Jahren. Hier kommen die großen netzpolitischen Linien: Netzneutralität, Teilhabe, Überwachung und die Interessen der Kreativ- und Verwertungsindustrie. In den nächsten Monaten wird es darum gehen, die Idee der Netzneutralität zu verbreiten.

Die Drossel in der Hand: Neue Wachstumsstrategien
Den Flatrates ist es u.a. zu verdanken, dass sich das Internet in den letzten zehn Jahren in weiten Teilen der Bevölkerung durchgesetzt und vielen Menschen ermöglicht hat, am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilzuhaben. Man konnte sich dem neuen Medium mit etwas Gelassenheit nähern, ohne sich um unerwartete Kosten sorgen zu müssen. Für die Telekom und andere Internet-Service-Provider (ISP) war das die richtige Strategie. Ihre Profite wurden in erster Linie über die Markterschließung erziehlt. Bei der Telekom kommen möglicherweise dazu noch Rationalisierungseffekte nach der Privatisierung.

Die Wachstumskurve bei den neuen DSL-Verträgen ist flach geworden. Einzig in den ländlichen Gegenden, zu denen der Breitbandausbau noch nicht vorgedrungen ist, ist noch etwas zu holen. Das Verhältnis zwischen Investion und zu erzieltem Gewinn dürfte in den Strategiemeetings der Telekom nicht zu Freudentänzen führen. Es müssen also neue Wege her, um weiterhin steigende Profite zu realisieren. Das angebliche Marketinggesetz, wonach man Kunden nichts wegnehmen darf (so Clemens Schrimpe bei Logbuch Netzpolitik) wird vom Gesetz des Wachstums locker in die Tasche gesteckt. Um das Marketing muss man sich keine Sorgen machen: Der Deal zwischen der Telekom und Spotify beim Mobilfunk hat gezeigt, dass das Ende der Netzneutralität in einer hübschen Verpackung daher kommt: Als ein gutes Angebot, wo man für kleines Geld etwas Tolles bekommt.

der rosa herold kuendet von der drosselDie Drosselung der Geschwindigkeit ist nicht also das einzige Problem, was uns bevorsteht. Die ISP werden Angebote machen, die bestimmte Internetservices von der Volumengrenze ausnehmen. Dieser Verstoß gegen die Netzneutralität basiert auf der durch die Volumengrenzen geschaffenen Knappheit, für die es keine technische Notwendigkeit gibt. Statt es weiterhin zu ermöglichen, sich 500 GB im Monat per Bittorrent runterzuladen, bietet man einen Tarif an, der bei 75 GB gedrosselt wird, aber optional mit Medienpaketen kommt: Musik hören bei Spotify, Filme gucken bei Videoload. Damit stellen sich die ISP in Konkurrenz zu Apple und Amazon. Deren digitales Warenangebot kam bisher am besten an. Bei Apple sind die gekauften Songs schnell mit dem iPod/iPhone synchronisiert, während Amazon so schön praktisch ist, weil viele Kund_innen ihre Kreditkarte oder Bankverbindung dort bereits hinterlegt haben. Bezahlen per Telefonrechnung ist noch einfacher.

Das ist ziiiemlich kompliziert! Or is it?
Die Strategie der Telekom geht also mit den Interessen der Verwertungsindustrie Hand in Hand: Unter den beschriebenen Bedingungen müssen auch denjenigen, die bisher den moralischen Appellen und der Angst vor rechtlichen Konsequenzen getrotzt haben, zu den Angeboten wechseln, die die ISP machen. Das trifft auch diejenigen, die Youtube als Radio laufen haben, während sie Hausaufgaben machen. In Zugzwang bringt das die Unternehmen, die jetzt zwischen ISP und Verwertungsindustrie stehen. Internetunternehmen, die den Content zu den Nutzer_innen bringen, müssen schauen, dass sie in das Angebotsportfolio der ISP aufgenommen werden – zu deren Bedingungen. Würde Netflix mit günstigen Preisen und besserer Auswahl in den deutschen Markt einsteigen, wären Nutzer_innen schlecht beraten, dieses Angebot vorzuziehen, solange es von ihrem monatlichen Volumenkonto abgezogen wird.

Für die ISP ist es einfach, die bösen Filesharer als Trittbrettfahrer_innen zu blamen. Deren Handeln ist für viele nicht nachvollziehbar. “Warum können die eigentlich nicht Fernsehen gucken wie jeder normale Mensch auch? Außerdem: Wenn mein Nachbar dreimal so viel Wasser verbraucht wie ich, ist das doch auch fair, wenn der dann mehr zahlt.” Wer für Netzneutralität argumentiert sollte mit den Metaphern aufpassen. Zwar mag das Bild der tröpfelnden Leitung nach dem hundertsten Liter erstmal ganz plausibel wirken. Dass im Internet die Daten aber nicht weniger werden, wenn man sie nutzt, sondern mehr, ist den ISP klar, vielen Nutzer_innen aber nicht.

Es gibt viele Beispiele, die zeigen, was große Datenmengen auch für Nutzer_innen bedeuten, die annehmen, sie seien von der Geschichte gar nicht betroffen. Neulich erzählte mir mein Vater, dass er das Champions-League-Spiel der Bayern nicht sehen konnte, weil es nur auf Sky lief. Stattdessen hat er sich im Internet einen Radiokommentar per Stream angehört von drei jungen Kerlen, die das ganz witzig gemacht hätten. Das fand ich interessant, weil es seinem Selbstbild als jemand, der im Internet eh nur Zeitung liest und schaut, wie das Wetter wird, nicht entspricht. Er lässt sich sicher auch davon überzeugen, dass es sinnvoll ist, auch am 29. des Monats noch Sicherheitsupdates runterladen zu können, Backups in der Cloud zu speichern oder zur Weiterbildung Vorlesungen und Sprachlernpodcasts runterzuladen.

Die meisten Nutzer_innen werden sich vorstellen können, dass ihr monatlich benötigtes Volumen in den nächsten Jahren eher steigen als sinken wird. Dass die neue Regelung große Nachteile für weniger zahlungskräftige Kund_innen und Leute, die sich zusammen einen Internetanschluss teilen (Familien, WGs usw.) mit sich bringt und außerdem unfair gegenüber Leuten ist, die auf dem Land wohnen (die Telekom plant, das Volumen abhängig von der Zugangsgeschwindigkeit zu machen, so dass langsamere Anschlüsse auch noch weniger laden dürfen) ist offensichtlich unfair.

Die Taube auf dem Dach: Netzneutralität erkämpfen
Ich halte das Gerede, dass Netzneutralität schwer vermittelbar sei, für eine selbsterfüllende Prophezeiung. Dass es einige technische Unklarheiten gibt, ist kein Problem. Schließlich ist es in jedem Politikbereich so, dass Expert_innen Komplexitäten sehen, die in den öffentlichen Debatten in den Hintergrund rücken. Dass der Begriff Netzneutralität etwas unscharf ist, macht sein politisches Potential gerade aus, denn so lassen sich verschiedene Anliegen unter einer Forderung zusammenbinden.

Gegenüber den Nutzer_innen sollten wir darum mit der Trafficdrosselung und den zahlreichen Nachteilen, die das auch für gesetzestreue, brave User mit sich bringt, argumentieren. Gegenüber der Politik müssen die wettbewerbsrechtlichen Aspekte stark gemacht werden. Dabei würde ich allerdings die Hoffnungen nicht zu hoch hängen, dass die Regierungsparteien sich auf gute Argumente einlassen. Union, FDP und SPD haben in den letzteren Jahren schon absurdere Netzpolitiken abgenickt – siehe Leistungsschutzrecht. Dazu kommt: Wenn es keine echten Flatrates mehr gibt, kann man das Argument, eine genaue Aufzeichnung des Surfverhaltens wäre zu Abrechnungszwecken nicht notwendig, nicht mehr bringen. Dass das Vorhaben der Telekom auch überwachungsfreudigen Innenpolitiker_innen entgegen kommt, kann René Obermann bei seinen anstehenden Gesprächen sicher gut anbringen.

Das Mobilisierungspotential ist nicht schlecht: Verbraucher_innen lassen sich von Verbraucher_innenunfreundlichkeit überzeugen. Aber ob das genügen wird? Viele gesellschaftliche Akteure stehen ideologisch hinter den Interessen der ISP. Und das ist eben nicht die Versorgung der Bevölkerung mit Internet und die Ermöglichung von gesellschaftlicher Teilhabe, sondern steigender Profit. Wir sehen ja jeden Tag, dass sich die doppelt freien Marktsubjekte fügen müssen, weil sie eben nicht “erfolgreich” genug sind. Sie können sich das gute Leben nicht leisten. Wenn Netzneutralität nicht durchgesetzt wird, kommt das beim Internet genau so. Also: Her mit dem echten Netz!

Discourse does not compute

Ein schönes Beispiel aus der Reihe “Wer verbindet was mit wem? Angewandte Diskursforschung” heute morgen in der Presse. Anlässlich der Meldung, dass es in diesem Jahr eine Rekordzahl von einer Millionen Sanktionen bei Hartz 4-Empfänger_innen gab, wird eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit zitiert. Sie warne davor, die Zahlen überzubewerten. “Die Missbrauchsquote liege bundesweit bei 3,2 Prozent, demnach hielten sich fast 97 Prozent der 4,35 Millionen erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher an die Gesetze” (so gefunden bei Spiegel Online).

Hinter diesem Zitat verbirgt sich die Annahme, Ottilie Normalbürgerin denkt beim Thema “Hartz 4-Sanktionen gestiegen” als erstes daran, dass der Leistungsmissbrauch durch Hartz 4-Beziehende gestiegen sein muss. Sonst würde ja der Staat nicht sanktionieren. Die BA-Sprecherin bezieht sich also auf den hegemonialen Diskurs – “Hartz 4-Empfänger_innen sind faul und erschleichen sich Leistungen auf Kosten der Steuerzahlerin” –, ohne diesen Bezug ist ihre Aussage nicht sinnvoll. Sie bedient also diesen Diskurs, obwohl sie inhaltlich ja erstmal das Gegenteil sagt, nämlich dass die Missbrauchsquote gar nicht so hoch ist.

Mir fällt beim Stichworten “Missbrauch” und “Hartz 4-Sanktionen” ja als erstes ein, dass viel sanktioniert wird, weil das ganze System voller Schikanen ist. Die Leute können den unmöglichen Forderungen dieses Systems gar nicht nachkommen. Ich frage mich also: Wenn es kein großes Problem mit Missbrauch gibt, wozu eine Million Sanktionen?

Ich hoffe, dass sich viele diese Frage viele. Es wird schwieriger werden, diesen Diskurs aufrechtzuerhalten, je mehr Leute Erfahrungen mit Gängelung und Sanktionen machen mussten, also wissen, dass die Sanktionen auch sie bzw. Leute, die sie kennen, treffen könnten.

Reproduktionsarbeit: Vom Wieder-Herstellen

Auch in dieser Küche wird Reproduktionsarbeit geleistet

Ich wurde in letzter Zeit ein paar Mal mit der Frage konfrontiert, was ich eigentlich mit Reproduktionsarbeit meine. Ein Gespräch bei grünem Curry hat mir deutlich gemacht, wo das Verständnisproblem anfängt. Erklärbärmodus an.

Mit dem Begriff Reproduktion wird das “Vervielfältigen” verbunden. As in: “An meiner Wand hängt eine Reproduktion der Mona Lisa.” In Bezug auf Arbeit und Leben heißt das: Kinder machen. Neue Generationen produzieren. Es gibt jedoch eine zweite Begriffsbedeutung, die für das Verständnis von Reproduktionsarbeit entscheidend ist:

Als Reproduktion wird ein Vorgang bezeichnet, bei dem etwas vervielfältigt wird, sowie häufig auch die im Ergebnis dessen entstandene Kopie. Insbesondere im Zusammenhang mit sozialen Systemen wird unter Reproduktion neben der Neuerstellung auch die Aufrechterhaltung eines Zustandes verstanden. (Wikipedia: Reproduktion)

Wenn ich Reproduktionsarbeit sage meine ich also das Aufrechterhalten eines Zustandes – und zwar den geistig-körperlichen Zustand des arbeitenden Menschen.

Marx nimmt das mit der Reproduktion her, um das mit dem Arbeitslohn und dem Mehrwert zu verdeutlichen. Ganz kurz: Der Lohn entspricht dem, was zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft notwendig ist. Ein einfaches Modell: Eine lohnabhängige Person arbeitet 8 Stunden am Tag und produziert Waren, die am Markt 80 Geldeinheiten (GE) erzielen. Zur Wiederherstellung ihrer Arbeitskraft benötigt die Person 20 GE, die sie für Essen, Miete, Kinder, Hygiene usw. ausgeben muss. Da würden ja zwei Stunden Arbeit eigentlich reichen. Leider gibt es nur 2,5 GE Stundenlohn, so dass die Person 8 Stunden arbeiten muss, um auf ihre 20 GE zu kommen. Das Kapital freut sich: 60 GE werden als Mehrwert abgeschöpft. Wir nennen es Ausbeutung – ein Begriff, der tatsächlich nichts damit zu tun hat, ob der Lohn niedrig, hoch oder “gerecht” ist.

Dass dieses Modell sehr vereinfacht ist, liegt auf der Hand. Das, was zur Reproduktion als notwendig erachtet wird, ist erstens das Ergebnis sozialer Kämpfe, bei denen es zweitens auch darum geht, dass Lohnabhängige als Konsument_innen ebenfalls auf dem Markt agieren. Will sagen: Ob wir Penne mit Nordsee-Scampi und Parmesan aus Italien oder Brot mit Wurst aus Hausschlachtung essen, zur Erholung einen großen Fernseher und drei Konsolen brauchen und regelmäßig zur Kur fahren können geht aus dem Modell nicht hervor. Auch wer die Reproduktionsarbeit leistet und in welcher Beziehung Leute dabei zueinander stehen ist nicht festgelegt, also ob sie im Rahmen einer heterosexullen Kernfamilie von der Hausfrau übernommen wird, Personen sie selbst erledigen, andere dafür einstellen oder sie sich mit anderen Erwerbstätigen teilen. Schließlich wäre da noch die Frage, wie Reproduktionsarbeit subventioniert wird, zum Beispiel durch einen Familienernährerlohn, Kindergeld, Betreuungsgeld, Ehegattensplitting, steuerlche Absetzbarkeit haushaltsnaher Dienstleistungen, Familienzuschlag. Auch das verändert sich im Laufe der Zeit und der politischen Konflikte um Arbeit – Who cares? ist eine Frage, über die es sich nachzulesen und nachzudenken lohnt.

Klar ist aber: Es wird gefuttert, geputzt, gekümmert, Kinder werden aufgezogen. Reproduktionsarbeit (auch genannt: Carework, Haus-, Familien- oder Sorgearbeit) spielt für das Wohl der Menschen und für das Funktionieren des Systems eine Rolle. Sie wird traditionell mit Frauen und dem privaten Lebensbereich in Verbindung gebracht, ist im Gegensatz zur Lohn-/Erwerbsarbeit weniger theoretisch unterfüttert und erforscht. Sie wird oft vergessen. Wenn ich dich frage: “Was arbeitest du?” wirst du mir eher von deinem Job erzählen als davon, wann du zuletzt den Boden gewischt hast. Reproduktionsarbeit ist das markierte Andere zur “normalen Arbeit”. Reproduktionsarbeit wird strukturell abgewertet. Daraus ergeben sich für mich einige Punkte, über die es sich nachzudenken lohnt:

Erstens: Diejenigen, die eine als höher angesehene Bildung genießen, lernen, was die Brownsche Mollekularbewegung ist, aber müssen sich in öffentlichen Bildungsinstitutionen weder theoretisches noch praktisches Wissen über Reproduktionsarbeit aneignen. Lediglich meinen Mathelehrer war es ein Anliegen, dass die Mädchen in der Klasse bei all der Polynomdivision nicht vergessen, dass sie auch in der Lage sein müssen, einen Braten zu kochen. Rezepte gab’s trotzdem keine. Es wird davon ausgegangen, dass Leute das irgendwie geregelt kriegen. Wir reden auch kaum darüber. Ich frage mich, ob die Überforderungen, die für einige Erwachsene in diesem Lebensbereich entsteht und die in Diskursen um Verpeilung und Prokrastination zum Vorschein kommt, etwas mit der Abwertung dieser Arbeit zusammenhängt.

Zweitens: Steile Thesen zum Wandel der Arbeit taugen nichts, wenn sie Reproduktionsarbeit nicht mitdenken bzw. davon ausgehen, dass sich das bisschen Haushalt wie gewohnt von allein macht. Dabei geht es nicht ohne intersektionale Perspektive, denn Reproduktionsarbeit lässt sich nicht ohne Klasse, Geschlechterverhältnisse und die Verlagerung von Reproduktionsarbeiten auf Mirgrant_innen analysieren.

Es war nicht alles schlecht in der Apfelfabrik

This American Life ist Mike Daisy auf den Leim gegangen, ebenso wie unzählige Hörer_innen der NPR Show. Seine Story hält, wie sich jetzt herausgestellt hat und in der Folge “Retraction” auf sehr hörenswerte Weise nachvollzogen wurde, journalistischen Standards nicht stand. Daisy bereut, seinen Monolog dem This American Life-Team angeboten zu haben. Ira Glass leistet Abbitte und berichtet darüber, wie Daisy beim Überprüfen der Fakten gelogen hat, aber wo das TAL-Team eben auch die Alarmglocken hätte läuten hören müssen. Mr. Daisy and the Apple Factory wurde zurückgezogen.

Meinen Text dazu muss ich glücklicherweise nicht zurückziehen, weil die dort formulierten Überlegungen zu Handarbeit und digitalisierter Produktion – den Bildern von fleißigen Robotern – nicht bei der Empörung ansetzen, die Daisy durch seine Version der Geschichte bei vielen Hörer_innen ausgelöst hat. Puh!

Und die Moral von der Geschicht’? Die Kritik an kapitalistischen Produktionsverhältnissen muss man gut vermarkten. Grundsätzliche Kapitalismuskritik vermarktet sich nicht gut, aber darum ging es ja auch nicht bei dieser Sendung.

Robots and hands

Mike Daisey was a self-described “worshipper in the cult of Mac.” Then he saw some photos from a new iPhone, taken by workers at the factory where it was made. Mike wondered: Who makes all my crap? He traveled to China to find out.

Die This American Life-Folge Mr. Daisey and the Apple Factory thematisiert die Produktionsbedingungen in den Sonderwirtschaftszonen Chinas. Mike Daisey begab sich auf eine investigative Reise nach Shenzhen. Dort sitzt u.a. der Elektronikhersteller Foxconn, für den mehr als 300 000 Mitarbeiter_innen Appleprodukte und Bauteile für Sony, Nintendo und Hewlett-Packard herstellen. Seine Erkenntnisse und Eindrücke führt Daisey in Form eines Monologs auf. In zweiten Teil der Folge wird seine Perspektive durch das This American Life-Team vor dem Hintergrund weiterer Recherchen eingeordnet.

Hinter der shiny Oberfläche eines Smartphones steckt jede Menge Arbeit, da muss eine sich keine Illusionen machen. Einen Gedanken zum technokapitalistischen Nord-Süd-Verhältnis fand ich aber besonders interessant: Daisey beschreibt, dass ihn die Tatsache, dass ein Smartphone von sehr vielen Arbeiter_innen in einzelnen Schritten per Hand zusammengesetzt wird, ziemlich überrascht hat, obwohl er sich vorher keine großen Gedanken dazu gemacht hat. Seine Vorstellung von moderner Produktion sei geprägt von den Bildern aus japanischen Automobilfirmen der 1980er Jahre. Er war unbewusst davon ausgegangen, dass er diese Bilder auch in Shenzhen sehen würde, obwohl er auch schon von Sweatshops gehört hatte.

Statt der Hightech-Roboter setzen zehntausende von Arbeiter_innen die ganzen kleinen Teile, aus denen die Gerät bestehen, von Hand zusammen. Bis zum letzten Schritt, dem Polieren des Displays. Maschinen nehmen den Arbeiter_innen in Shenzhen die Arbeit nicht weg. Die Arbeit ist dort nämlich noch günstig genug. Tief eingeschriebene Fortschrittsnarrative lassen uns aber glauben, dass die technologische Entwicklung längst so weit sein müsste. Diese Illusion wirkt besonders absurd, wenn wir von den guten alten Zeiten schwärmen, in denen die Dinge, die wir konsumieren, noch aus echter, authentischer Handarbeit waren.

Nach dem diese Illusion vorerst zerstört ist, müsste aber auch die Frage gestellt werden, ob “Maschinen nehmen uns die Arbeit weg” im Kontext der Forderung eines Bedingungslosen Grundeinkommens ((Vom Netzwerk Grundeinkommen gibt es Poster mit diesem Spruch. Eine von Anne Allex und Harald Rein herausgegebene Veröffentlichung mit Beiträgen zum Existenzgeld heißt “Den Maschinen die Arbeit … uns das Vergnügen!”)) eine solidarische Annahme ist und ob es uns dabei egal ist, dass es eben nicht nur Maschinen sind, die diese Arbeiten jetzt übernehmen.

Viertens: Toxie

Das Planet Money Team hat vor einigen Monaten ein toxic asset gekauft. Das sind diese Mortgage Backed Securities, durch Vermögenswerte (Hypotheken, d.h. Immobilien) gesicherte Wertpapiere bzw. Anleihen, anhand derer man viel über die Ursachen und Abläufe der Finanzkrise lernen kann. “Toxie” ist vor kurzem verstorben. Sie wird kein Geld mehr ausspucken. Das niedliche Abschiedsvideo für Toxie nehme ich zum Anlass, nach über zwei Jahren mal wieder auf Planet Money hinzuweisen.