Dieser Tage war wieder Chaos Communication Congress (im Folgenden auch 28c3). Parallel und in Fußnähe dazu fand am 29. Dezember die 0. Spackeriade (im Folgenden auch spack0) statt. Die Minikonferenz der Datenschutzkritischen Spackeria war gedacht als “eine Plattform […] für alle, die sich mit Datalove, Kontrollverlust, sozialer Vernetzung, Post-Privacy oder Informationsfreiheit in mehr oder weniger utopischer Art und Weise auseinandersetzen möchten.” Bei freiem Eintritt gab es sowohl für Kongressbesucher_innen als auch andere die Gelegenheit, zwischendurch oder die ganze Zeit im HBC (schöne Location für Leute, die der Rauch rund um die Bar nicht stört) vorbei zu schauen und sich die insgesamt neun Talks und Podien anzuschauen. Bei den meisten geht das übrigens auch nachträglich. Ich hab auch noch nicht alle gesehen und bin besonders auf Tantes “Program or be Programmed” noch sehr gespannt.
Unterm Strich wurde auf der spack0 zu viel über die Spackeria und zu wenig über Fragen des Kontrollverlust gesprochen. Nachdem ich die ersten Talks verpasst hatte dachte ich nach dem zweiten Dritten, dass es vielleicht stimmt: Der Diskurs gibt gerade nicht viel her. Die Positionen sind bekannt und die romantisierenden Verkürzungen eigentlich auch schon analysiert. Gähn.
Wenig überzeugt haben mich zum Beispiel die von Ole Reißmann vorgetragenen und zusammen mit Anna Sauerbrey entwickelten 11 Thesen zur datenschutzkritischen Spackeria. Seit wann ist “Warum stellt sich die Spackeria nicht nackt mit Langhans vor eine Wand?” eigentlich eine These? Klar, Journalist_innen finden es gut, wenn Gruppen bestimmte Themen für sich beanspruchen und dazu medienwirksame Bilder produzieren. Aber diese Erwartungshaltung! Am besten fand ich die Idee, dass die Spackeria doch mal recherchieren sollte, ob die Landesdatenschutzbeauftragten in Deutschland nicht unglaublich viel Geld verwenden mit unsinnigen Aktionen. Ist das nicht eigentlich der Job von Journalist_innen? Womit Reißmann allerdings recht hat: Von irgendjemand musste die Datenschutzkritik aufgegriffen werden, damit sie als Standpunkt im Diskurs auch greifbar wird. Aber wie es von da aus weiter geht sollte sich nicht an den Interessen von Spiegel Online und co. orientieren.
Das Abendprogramm fand ich interessanter. Bei Helga Hansens feministische Kritik an Post-Privacy wurde mir etwas zu viel schwarz-weiß Malerei betrieben, aber Helga hat den Finger auf eine wichtige Wunde gelegt und das scheint beim Publikum auch angekommen zu sein: Wer trägt die Kosten der Öffentlichkeit und wo bleibt die Solidarität? Dass es wichtig ist, sich mit sozialen Fragen und diesem Privilegiending auseinanderzusetzen, wenn es um Informationsfreiheit geht, war auch der Punkt in Daniel Schweighöfers Vortrag: Kampf für die Informationsfreiheit ist ein sozialer Kampf. Mir hat gut gefallen, wie er die zum Teil schwierigen gesellschaftskritischen Begriffe und Konzepte für den Kontext des Post-Privacy Diskurses erklärt hat.
Der Fikileaks-Talk über ein Projekt, dass Beziehungen innerhalb eines Bekanntenkreises (“Wer küsst wen?”) visualisiert, war unterhaltsam und anschaulich kontrollverlustig. Die interessanten Fragen konnten aber aus Gründen nicht ausführlich diskutiert werden. (Das wäre wieder die Sache mit den unterschiedliche Positionen, die sich zeigen, wenn die einen sich mit Slut Shaming konfrontiert sehen, während andere tolle Hechte sind und dritte mit dem “forever alone” Stigma zurecht kommen müssen. Aber auch die Frage nach Intimität und Privatsphäre, Beziehungsformen, Eifersucht usw.)
Vollkommene Nabelschau wurde dann in der Abschlussrunde betrieben, in der die Fails der Spackeria und insbesondere das Thema Langhans-Ein-und wieder Ausladung beleuchtet wurden. Und immer wieder die Frage: Als was versteht sich eigentlich diese Spackeria? Es scheint nötig zu sein, dass diese Gruppe ein Selbstverständnis entwickelt, wenn sie öffentlich als Gruppe auftritt. Denn bei allem Individualismus im Standpunkt (Warum dann nicht solo bloggen?) und dem ziemlich naiven Jeder-soll-sprechen-dürfen (Habermas meets Darwin? Wäre ich eine Rampensau, hätte ich Plomlompom das Mikro entrissen und “Mimimi” gesungen. Weil: Jeder Sprechakt hat hier seinen Platz!) müssen da eben auch kollektive Entscheidungen getroffen werden. Oder man entscheidet sich dafür, das sein zu lassen und es bei der Rolle des Diskordes, der den Zankapfel durchs Dorf gerollt hat, zu belassen. Mein Interesse, diese Selbstfindung beizuwohnen ist allerdings nicht so groß. Der Kongress ist ja auch nicht die CCC-Mitgliederversammlung (da fände ich es tatsächlich spannender, Mäuschen zu spielen)
Ich möchte lieber über Post-Privacy, Öffentlichkeit, Sicherheit, Kontrolle, das Politische und das Private sprechen.
Wie notwendig das auch weiterhin ist wurde bei den “Security Nightmares” am nächsten Tag auf dem 28c3 wieder deutlich. Er ist eine der Traditionsveranstaltungen auf dem Kongress. Frank Rieger und Ron blicken zurück auf die IT-Sicherheitsdebakel des vergangen Jahres, beömmeln sich über neue privatwirtschaftliche und staatliche IT-Großprojekte und überlegen zusammen mit dem Publikum, was in der Zukunft schief gehen könnte. Dabei werden jede Menge Zoten gerissen und das Publikum bestätigt sich in der Selbstwahrnehmung, in dem ganzen Wahnsinn wenigstens auf der Seite derer zu stehen, die den Durchblick haben. Im Grunde zeigen die Security Nightmares jedoch, dass Sicherheit meistens nur gefühlte Sicherheit ist. Das gilt für die elitären Hacker, die sich vielleicht schon in einem Jahr damit konfrontiert sehen, dass ihr liebstes Privacy Tool doch seine Schwachstellen hat ebenso wie für die “dummen User”, denn “dumm” heißt in diesem Kontext oft nur, dass man es nicht zu einer seiner Prioritäten machen will oder kann, über Risiken, Technologien und Sicherheitsmaßnahmen auf dem neusten Stand zu bleiben und den Code am besten immer selbst zu kompilieren. Und so kommt auch Frank Rieger während des Talks zu der Erkenntnis, dass Daten verloren gehen werden und alles eine Machtfrage ist.
Unternehmen, die in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem auf dem Markt agieren sammeln Daten, die sie verkaufen oder auf anderem Weg zu Profit machen wollen. Oder sie verlieren sie auf dem Weg.
Repressive Staatsapparate wollen kontrollieren, überwachen und strafen. Die Biomacht ist auch überall am Werk (aber jetzt wird es zu foucaultisch).
Ich prangere das an.
Und jetzt?
Sich ins Fäustchen lachen hilft jedenfalls nicht. Zu hoffen, dass die positiven Folgen der informationstechnischen Entwicklung überwiegen, auch nicht.
Um eine politische Diskussion zu führen, ist es wichtig, dass sich in den vergangen zwei Jahren Positionen zugespitzt haben. Dieser Antagonismus zwischen Post-Privacy und Datenschutz-Aluhüten hat den Raum für Diskussionen aufgemacht, die vorher nicht artikulierbar waren. Was wir jetzt brauchen, ist eine ernsthafte, facettenreiche Auseinandersetzung, für die der Kongress, die nächste Spackeriade und die im Mai stattfindende Sigint Plattformen sein können.
PS:
Und dann ist da noch die Sache mit dem Namen. Ich frage mich seit die Spackeria das Licht der Öffentlichkeit erblickt hat, was von diesem Namen zu halten ist. Klar: Es ist zunächst ein Mal eine subversive Aneignung eines abwertend gemeinten Schimpfwortes. CCC-Sprecherin Constanze Kurz hatte nämlich auf dem 27c3 Post-Privacy Spacken gedisst. Aber trotzdem muss man sich fragen, ob “Spacken” ein Begriff ist, den eins sich einfach mal so aneignen sollte. Bei meinen (schnellen) Recherchen fand ich Hinweise darauf, dass der Begriff von Spas/ti/ker kommen könnte. Damit hätte es sprachlich einen behindertenfeindlichen Hintergrund. Sich negativ belegte Begriffe als politische Selbstbezeichnungen aneignen ist eine politische Strategie für die diskriminierte Gruppe, nicht für andere Gruppen.
Aber so ganz eindeutig ist das bei Spacko wohl nicht, denn das Wort könnte auch wo anders her kommen. Wenn jemand bessere ethymologische Quellen zur Hand hat wäre ich für Hinweise dankbar.
Edit: Hier gibt es einen Hinweis auf die Herkunft von Spacko: ” Der Spack oder die Spacke ist norddeutsch/platt eigentlich ein abgemagerter Mensch. Das Wort ist eine Verballhornung des plattdeutschen Wortes Spökenkieker, das hochdeutsch mit Hellseher oder Vorausschauer übersetzt werden müsste.”
Vorletzter Absatz: da fehlt ein Satz oder ein paar Zeilen?
jep. das kommt vom vielen umschreiben und das ding irgendwann nicht mehr sehen können. die letzte korrektur wird gecrowdsourced ;)
In Sachen Fickileaks: Ich verstehe nicht, was du mit
meinst; Zeitmangel? Fang du doch mal an, die interessanten Fragen zu diskutieren, ich bin gerne dabei.“Spökes” für “Unsinn” ist geläufig; “Spökeria” dann ja eigentlich die bessere Bezeichnung. Nicht nur, daß es ableistische Assoziationen vermeidet, es beinhaltet einen schönen Doppelsinn aus “Quatsch” und “in die Zukunft sehen” …
@erlehmann du hast ja für gewöhnlich in sekundenschnelle ein kommentar zu allem, was gesagt wird, parat. dadurch kam mir die “diskussion” ziemlich gehetzt vor, zumal so eine Q&A situation für tiefgehender diskussionen in der regel eh ungeeignet ist.
@Odradek i like!