Category: Feminismus

Doktor, kommen Sie schnell, akuter Geschmacksstillstand!

Heftich Heftich Heftich. Der Fachschaftsrat Medizin der Uni Hamburg hat am vergangenen Wochenende zu einer Party eingeladen. Die Vorderseite der Flyer glänzt in krankenhausgrün mit einer Partyschlampe, heißen Krankenschwester, Medizinstudentin jungen Frau mit Nikolausmütze.

Auf der Rückseite des Flyers, der anscheinend gesponsort wurde, wirbt der Finanzdienstleister MLP mit einem männlichen, kompetenten Halbgott in Weiß.

Der offensichtliche Sexismus, der in diesem Fall durch den Kontext, den die beiden Bilder einander geben, noch unterstrichen wird, wurde in einer AStA Sitzung angesprochen. Aber die sahen wohl kein größeres Problem daran.

I heart glossy Feminism


Verpackung ist wahrlich nicht alles. Wenn Studierendenvertreter (fast ohne -Innen) mehr Wert auf corporate identity legen als auf konkrete politische Arbeit, wird mir schlecht. Wenn bei Orgatreffen jedes mal jemand die Zauberformel “medienwirksam” aufsagt, als ob das ein ganz neuer Einfall wäre, roll(t)e ich mit den Augen.

Aber ich liebe meine Hochglanz-BUST. Gelten für Feminismus andere Regeln?

Als Label ist “Feminismus” mit einem bestimmtem Image verbunden. In letzter Zeit, als viel über neue F-Klassen und alte Wellen geschrieben wurde, war das ja ein beliebtes Thema. Immer wieder hießt es, Feminismus müsse popkulturaffiner werden, um mehr Frauen anzusprechen. Oder schlimmer: Sexier werden. Na super. Als ob wir nicht gerade diese Anforderung sowas von über hätten.

Aber ich wollte ja eigentlich eine Lanze für ein Hochglanzmagazin brechen.

Warum? Weil es bei der Frage, wie richtiger Feminismus auszusehen hat, und was richtige Feministinnen zu tun haben, um Normen geht. Es geht um “Richtig”-Sein. Richtig ist, welche widerspruchsfrei ist?

Nein. Für mich heißt Feminismus, dass es möglich ist, komplexe, vielschichtige Subjekte zu verkörpern. “I am not a Feminist, but …” kann leider auch heißen, dass sich welche von der Grundidee angezogen fühlen, sich aber nicht als passend empfinden. Wenn es so klar ist, wie eine Feministin auszusehen hat, wenn aber das eigene Leben anders aussieht, und wenn es dann mit dem eigenen Bild von Feminismus nicht vereinbar scheint – wem bringt das was?

Modezeitschriften Kaufen ist eine klassische gulity pleassure. Seit ich BUST lese, hat der Reiz von Glamour und co. erhebtlich nachgelassen. Das war auch immer ein sehr unbefriedigendes brain-candy. Schade ums Geld. In der BUST steht ja auch was über Eyeliner. Ich kann mir schicke Fotos anschauen, mit dem Unterschied: Mein Geld geht an eine feministische Redaktion, die Artikel schreibt, die ich mit Genuss lese, und die Bilder von Frau-Sein repräsentiert, die ich gut finde. By the way: Sich Schminken ist eine kulturelle Ausdrucksform und nicht einfach nur ein Mittel patriarchaler Unterdrückung. Und wo sonst kann ich lesen, wie ich mir sprudelnde Badekugeln selbst machen kann, aber auch – wie in der aktuellen Ausgabe – wie ich zu Hause Bier braue?

Ich mag Feminismus, wenn er eine Haltung ist, die von vielen verkörpert wird.

Das heißt nicht, dass Konflikte nicht ausgetragen werden sollen. Konflikte zwischen Empowerment-Frauen und welchen, die den Kapitalismus abschaffen wollen beispielsweise. Oder eben Konflikte darüber, ob in der BUST nicht in letzter Zeit doch wieder nur dünne, unbehaarte, den herrschenden Schönheitsidealen entsprechende Frauen auf Modefotos zu sehen sind.

Das heißt auch nicht, dass Irritationsmomente nicht gut sind. Wenn z.B. eine Hetera sich im Gender Studies Kurs zum ersten Mal *allein unter Queers* fühlt, und merkt, wie subtil Normen wirken, kann das im besten Fall ein Aha-Erlebnis sein, dass dazu führt, den eigenen Standpunkt zu hinterfragen. Es kann leider aber auch heißen, dass sie nicht wieder kommt.

Darum halte ich es für besser, die Norm-Frage auch in Sub-Szene zu stellen, und Auseinandersetzungen darüber politisch, d.h. auch kollektiv, und nicht nur individuell mit sich selbst zu verhandeln.

Podcasts: Theorie und Praxis, Popkultur und der ganze Rest

Die Sendung bei FSK heute Abend lief ganz gut. Ich werde demnächst mal die Widerholungstermine für Lorettas Leselampe Spezial raussuchen und hier posten. Apropos Radio:

Wie schön! Ich habe einen deutschsprachigen, feministischen Podcast entdeckt. “Mono. Die weibliche Note” – so der etwas seltsame Name – kommt seit August diesen Jahres ein paar Mal im Monat. In den bisher acht Folgen geht es um Themen wie Comics, Filme, Alice Schwarzer, Gewalt, Vergewaltigung und Abtreibung. Britta Helm, die bisher eine zweistündige Sendung im Münsterer Campusradio hatte, jetzt aber nicht mehr studiert, redet über diese Themen und interviewt Leute, die etwas dazu zu sagen haben. Beispielsweise sprach sie in Folge 6 mit Sarah Diel über Abtreibung im internationalen Kontext. Außerdem gibt es Kinotipps und interessante Veranstaltungshinweise für Münster und andere Städte.

Ich habe den Podcast gestern abonniert und fast alle Folgen schon angehört. Brittas Meinung, z.B. über BUST* und Alice Schwarzer, teile ich nicht immer. Aber wie langweilig wäre das denn? Ich hoffe, Britta findet mit ihrem sehr angenehm hörbaren Podcast viele interessierte Hörer_innen.

* Morgen oder übermorgen werde ich an dieser Stelle begründen, warum die BUST super ist, gerade weil es auch um Amy Winehouses Handtascheninhalt geht.

FSK-Programmhinweis: Loretta Loretta

Am Dienstag Abend lohnt es sich vielleicht das Freie Sender Kombinat einzuschalten. Dort läuft um 20 Uhr Lorettas Leselampe spezial: Queer-/Feministische Kritiken neoliberaler Verhältnisse.

Wie können diese aussehen? Damit diskutieren wir u.a. mit Melanie Groß vom neu gegründeten Feministischen Institut Hamburg, die im Studio zu Gast sein wird. Sie ist Mitveranstalterin der “Feministischen Werkstatt” im Kölibri, bei der jeden zweiten Donnerstag in jedem zweiten Monat immer um 19 – 21 Uhr im Kölibri (Hein-Köllisch-Platz, Hamburg-St.Pauli) queere und feministische Praktiken erörtert werden sollen. Außerdem besprechen wir den im Unrast-Verlag erschienen Band “Queer-/Feministische Kritiken neoliberaler Verhältnisse

Melanie Groß wird leider doch nicht im Studio sein. Insofern ist das Zitat oben realativ sinnlos. Vertreten wird sie aber von einigen anderen Autorinnen des Buches. Einschalten, Stream hören, oder auf Wiederholungen achten… Ob es sich wirklich lohnt, weiß ich erst morgen Abend, denn es ist ja eine Live-Sendung.

Wave after wave

Sonja Eisman bringt es mal wieder auf den Punkt: “Der emanzipatorische Kampf für Frauenrechte ist so glamourös, wie man ihn führt” und der Agonismus zwischen F-Klasse und Altfeministinnen ein Medienhype, der das linke, emanzipatorische und radikale Projekt unsichtbar macht.

Das schönste an Wellen ist doch immer noch ihr Rauschen.

Sonja Eismann – Hot Topic. Popfeminismus heute

Just zur Buchmesse ist die Antologie “Hot Topic. Popfeminismus heute” erschienen, die Beiträge “über Frauen zwischen Feminismus und Pop, Prekariat und Boheme” versammelt. Den Band herausgegeben hat Plastikmädchen und Intro-Redakteurin Sonja Eismann.

Seit der konservative Backlash offen in Form von neuem Gebärzwang und alten Hausmütterchen-Doktrinen zutage tritt, besinnt sich sogar der Mainstream wieder auf die Notwendigkeit des Feminismus. Dabei wird gerne übersehen, dass es abseits des gemäßigten Feuilleton-Bekenntnisses zur Geschlechtergleichheit eine Menge junger Frauen gibt, die sich den radikalen “Luxus” eines feministischen Bewusstseins leisten und dies in verschiedensten Formen leben.

In der “Hot Topic”-Anthologie porträtieren diese Frauen ihre Lebensrealitäten zwischen Abtreibung, Indie-Mutterschaft, Prekariats-Boheme, queerem Coming-of-Age, Schönheits-Terror und Exotinnendasein im Musik- und Medienbusiness. In Anlehnung an die Vielzahl anglo-amerikanischer Textsammlungen, die hierzulande immer noch ihresgleichen suchen, destilliert dieser anekdotisch angelegte Reader die gesellschaftspolitische Aussage aus dem privaten Erleben und knüpft damit dort an, wo vor beinahe 10 Jahren der bis jetzt einzigartig gebliebene Band “Lips Tits Hits Power” aufhörte. Mit Beiträgen von Christiane Rösinger, Pauline Boudry, Clara Völker, Sarah Diehl, Rosa Reitsamer und Vina Yun und mit zahlreichen Illustrationen.

Aus dem Inhalt:

• Reproduktion, Abtreibung und Verhütung
• Queere Strategien und Coming out
• Grrrl-Zines
• Drag Kings in der Populärkultur
• TV-Serien und Feminismus
• Mädchenzeitschriften, Szeneorgane und (Anti-)Solidarität
• Weibliche Einflussbereiche in der Punksubkultur
• Ladyfest als Ladyspace
• Das Leben der Lo-Fi-Boheme
• Gender und Feminismus zwischen Ost und West
• Weiße Männlichkeitskonstruktionen im Rock und Pop
• Mode als Politikum

Sonja Eismann (Hg.): Hot Topic. Popfeminismus heute. Ventil Verlag, 2007, 304 S., 14,90 EUR.

Paris is Burning im Karoeck

Am Sonntag Abend zeigt das communistisch-ästhetische Clübchen Jennie LivingstonesParis is Burning” im Karoeck am Anfang der Marktstraße (vom Schlachhof aus gesehen). Der Film ist ein durchaus umstrittenes feministisches Diskursereignis und schon deswegen sehenswert. Und hätten die Teilnehmer_innen der aktuellen Popstars-Staffel den gesehen, dann wüssten sie auch, was Vogueing ist.

„Für mich ist klar, daß der Prachtentfaltung des drag in “Paris is Burning” sowohl ein Sinn von Niederlage als auch ein Sinn von Aufstand abzugewinnen ist, daß der drag, den wir sehen, der drag, der letztlich für uns ins Bild gesetzt ist, für uns gefilmt ist.“ (Judith Butler, Körper von Gewicht)

Durch Besprechungen von Judith Butler und bell hooks erlangte “Paris is Burning” auch in der feministischen Theorie eine größere Aufmerksamkeit. Jennie Livingstone dokumentiert die “drag-balls” der 80er Jahre in New York, interviewt die Queens und zeigt, wie sie sich auf die “balls” vorbereiten, die auch als Wettbewerbe funktionieren. Gleichzeitig verweist der Film auf die sozialen Verbindungen, die in diesem Zusammenhang entstehen und die eine Anerkennung ermöglichen, sowie vor Gewalt schützen sollen.

USA 1990, 71 Min., OmU, Dokumentation, Regie: Jennie Livingstone