Wie versprochen nun also der follow-up-post zum Vortrag über die Lesben/Frauen-Archive in der digitalen Welt ein paar Themen der Diskussion und Überlegungen dazu.
Dazu muss ich ein bisschen ausholen: Mit meinem Vortrag wollte ich unter anderem einen Einblick geben, wie Feminismus im Netz Öffentlichkeit herstellt, Beziehungen stiftet und Interventionen ermöglicht. Ich habe versucht, Metaphern dafür zu finden, was Twitter für uns bedeutet und betont, dass es auch für uns, die wir soziale Medien täglich nutzen, alles andere als trivial ist, sich darin zurecht zu finden. Aber es ist eben trotz der Informationsflut und der Unsicherheit, wie Beziehungen in der virtuellen Welt zu gestalten sind, auch unglaublich reizvoll. Daran anschließend habe ich mir die Frage gestellt, welche Bedeutung die Verortung in vorangegangenen feministischer Politiken für uns, die wir im Netz feministisch umherschwirren, hat. Als Beispiel habe ich u.a. Somlu’s Text über das Frauenwiderstandscamp im Hunsrück genannt, der eine sehr alte und bekannte Diskussion über Kinder und Mütter mit aktuellen Diskussionen um Kinder und Heteroprivilegien beim Gendercamp verknüpft. Ich argumentierte, dass solche Blogposts hilfreich für aktuelle feministische Diskussionen sein können, weil Feminismus eben auch heißt, wahrzunehmen, wofür vor uns gekämpft wurde, wer gekämpft hat, worüber gestritten wurde und welche Praxen darin entwickeltet worden sind.
Disability Zines Exhibit by Barnard Library Zine Collection on Flickr. CC BY-NC-SA 2.0
Erzählungen über das, was war, sind immer auch dazu da, etwas darüber zu sagen, was heute ist. Sich kritisch in Geschichte zu verorten heißt deshalb meiner Ansicht auch, diese zu dekonstruieren, also auf ihre Entstehungsbedingungen zu befragen. Zu fragen, warum heute etwas auf eine bestimmte Weise erzählt wird und wie Macht mit dieser Erzählung verwoben ist. Ich habe vor allem von meinen Historiker_innen-Freund_innen und ihrer Arbeit gelernt, dass Archive für dieses Unterfangen von großem Nutzen sein können, wenn sie vielfältig und von kundigen Spezialist_innen erschlossenen und aufbereiteten Quellen und Materialien zur Verfügung stellen.
Als ich die Frauenwiderstandscamps erwähnte murmelten einige im Publikum so etwas wie “ah ja, genau”. Ich erwähnte, dass ich bis zu diesem Blogpost noch nichts davon gehört hatte. In der Diskussion knüpften mehrere Frauen daran an und meinten, dass die Lesben/Frauenarchive, in denen sie arbeiten, voll mit Quellen dazu sind.
Da waren wir an dem Punkt, der die Diskussion beherrschen sollte: Gibt es einen Bruch zwischen der zweiten Frauenbewegung und der heutigen und geht dieser mit einem ähnlichen Verlust von Wissen und Geschichte einher, wie der Bruch zwischen der ersten und der zweiten Frauenbewegung? Und was bedeutet das für die Lesben/Frauen-Archive und Bibliotheken?
Eine Teilnehmerin fasste es zusammen: “Wir schauen zu, wie Wissen verloren geht.”
Es ging also nicht darum, dass die jungen Frauen* heute unpolitisch seien, sondern um die fehlenden Verbindungen zwischen den feministischen Generationen, die – auch das wurde angemerkt – sich nicht immer am Alter festmachen lassen. Eins kann sich das vielleicht als zwei Netzwerke vorstellen, wo die Punkte untereinander jeweils stark verbunden sind, es mehrere Zentren mit besonders vielen Verbindungen gibt, wo es aber zwischen den beiden Netzwerken nur wenige Verbindungen gibt. Das hat meiner Ansicht nach weniger etwas damit zu tun, dass die Themen, die uns beschäftigen, heute ganz andere wären. Ich nehme es eher als eine andere Akzentuierung wahr, wobei einige Grundfragen, gerade die der innerfeministischen Debatten, tatsächlich relativ konstant bleiben. Kämpfen wir im kapitalistischen System oder dagegen? Institutionalisiert oder autonom? Welche Rolle spielt das Begehren? Wer sind (legitime) Bündnispartner_innen? Wer ist das “wir” des feministischen Projektes? Wie verhält sich Feminismus als politisches Projekt zum Kampf gegen Rassismus und zu anderen politischen Bewegungen? Außerdem muss die Erzählung der sich ablösenden Frauenbewegungen, der feministischen Wellen, auch kritisch befragt werden – daran hat mich Marlen zum Glück noch mal erinnert. Zwar erscheint es mir nützlich, einen Begriff für die Peaks zu haben, also für die Zeiten, wo viel passiert, wo sich Intensität des Diskurses verstärkt. Aber es besteht eben auch die Gefahr, erstens das Dazwischen unsichtbar zu machen und zweitens den Peaks auf einen bestimmten Nenner zu bringen, der die Vielschichtigkeit und die Konflikte ausblendet, die den intensiven Diskurs erst erzeugen. Denn wenn alle das gleiche zu sagen hätten, würde ja gar nicht so viel gesprochen werden.
Zu den Erzählungen, die ich über die zweite Frauenbewegung kenne, gehört, dass die Protagonistinnen erst im Laufe der Zeit ihre Vorläuferinnen bzw. deren Texte entdeckt haben. Ich glaube, da haben wir es heute schon mit einer anderen Situation zu tun: Wir wissen zumindest, dass es die neue Frauenbewegung gab. Sie ist besser dokumentiert und hat sich in die Kulturproduktion eingeschrieben. Es gibt immer mal wieder einen Arte Themenabend. Es gibt Bücher, Verlage, Bibliotheken und Archive, wo eins fündig wird. Es gibt Gender Studies, wo in der Regel die Möglichkeit besteht, sich mit dem Thema eingehender zu befassen.
An ironhard archive with flowers. Foto von Aureusbay auf Flickr. CC BY-NC 2.0
Trotzdem fehlt es vielfach an Wissen und an Verbindungspunkten. Und vielleicht auch am Interesse, sich eingehender miteinander zu beschäftigen. Vielleicht sind es also die Beziehungen, die fehlen, oder die gemeinsamen Orte. Bibliotheken und Archive könnten ja solche Orte sein. Im Publikum bemerkte eine, dass die Institutionen mehr Öffentlichkeitsarbeit machen müssten, um für “Jüngere” – damit meine ich diejenigen, die den jüngeren/neueren Netzwerken angehören – relevant zu sein. Ich habe überlegt, was das konkret heißen könnte. Der erste Punkt wäre sicherlich, sichtbarer zu sein, das Internet stärker einzubeziehen werden und die Netzwerke auszuweiten. Zum Beispiel mal rausfinden, welche Emailverteiler in der jeweiligen Stadt genutzt werden. Zweitens könnten die Institutionen stärker an aktuelle Debatten anknüpfen und die Verbindungslinien herstellen. Drittens – Raumpolitiken – finde ich es prinzipiell ok, wenn sich die Räume nicht (immer) als “open for all genders” verstehen. Aber sind das dann unausgesprochen Cis-Lesben/Frauenräume? Die Ein-/Ausschlusspraxen müssten aus meiner Sicht erstens klarer benannt werden, zweitens aber auch überdacht werden.
Von der anderen Seite her gedacht, frage ich mich aber: Muss uns immer alles auf dem Silbertablett präsentiert werden? Wie ist es um das Interesse und Geschichtsbewusstsein derjenigen bestellt, die solche Orte nicht wahrnehmen? Ist das überhaupt eine geteilte Erfahrung von “jüngeren” Feminist*innen? Für welche der “älteren” sind die Bibliotheken und Archive auch noch nie interessant oder zugänglich gewesen?
Und dann gibt es noch den Gedanken, dass es Brüche auch aus Gründen sind, dass sie notwendig und produktiv sind. Die Erfahrung, die es bedeutet, einen Diskussionsprozess selbst durchgemacht zu haben, lässt sich wahrscheinlich durch Bücher und Erzählungen nicht ersetzen. Und die Effekte solcher Diskurse verstärken sich ja auch dadurch, dass sie wiederholt werden. Ich kann mir auch vorstellen, dass Frauen*, die bestimmte Debatten schon vor 30 Jahren geführt haben, nur bedingt Interesse daran haben, dass ihnen frisch “Bekehrte” mit ihrer Begeisterung die Ohren abkauen. Umgekehrt haben die “Jüngeren” vielleicht auch keine Lust, wenn die “Älteren” immer sagen, “ach, das haben wir früher auch schon diskutiert und ihr werdet schon noch sehen, dass …”
Ich bin gespannt, wie sich die Diskussion weiter entwickelt. Ich bin sicher, dass die Lesben/Frauen-Archive an der Sache dran bleiben und über Anknüpfungspunkte und neue Formen der Öffentlichkeitsarbeit verstärkt nachdenken. Ich könnte mir auch vorstellen, dass die aktuellen feministischen Strömungen und gerade auch die Netzaktivistischen demnächst an einen Punkt kommen, wo das Bedürfnis danach wächst, die eigene Arbeit auch längerfristig zu dokumentieren und festzuhalten. Wir können uns ja nicht darauf verlassen, dass sich das Internet alles merkt, dass wir alle Texte, Meme und Shitstorms auch in zwei oder zwangzig Jahren noch finden können. Spätestens dann müssen wir noch einmal darüber nachdenken, wie sich das Digitale archivieren lässt und ob wir unsere Sachen den Firmenarchive von Google, Twitter und Facebook überlassen wollen. Wir sollten also mit denjenigen ins Gespräch kommen, die Ahnung von Archiven haben.
Zum Weiterlesen: “Einzelkämpfer_innen oder Kollektive? Auch eine Generationenfrage” von Lantzschi.